Warum unsere Kinder Tyrannen werden
die richtigen Bahnen zu lenken, spielt in ihrem Denken eine zu geringe Rolle. Letztlich liegt hier ein enormes Potential brach, um der Probleme mit den Kindern Herr zu werden.
In der Konsequenz führt das dazu, dass der Entwicklungsstand eines Kindes bei der Beschulung nicht mehr vergleichbar ist mit dem Status quo, der etwa zu Beginn der 90er-Jahre vorherrschte. Das als »normal« empfundene Niveau ist weithin sichtbar gesunken, wird auch allgemein als ausreichend akzeptiert. Eltern verlangen daher ihren Kindern viele Leistungen nicht mehr in ausreichendem MaÃe ab, sei es etwa im motorischen oder im sprachlichen Bereich. Zusätzlich werden viele Verhaltensweisen, die früher als auffällig kategorisiert worden wären, jetzt als normal und tendenziell gesund eingeordnet.
Eltern wiegen sich damit entweder in einer trügerischen Sicherheit, ihr Kind entwickele sich altersentsprechend und sei in seinem Verhalten unauffällig, oder sie selbst gehören zur seltener werdenden Spezies der normal Erziehenden und werden durch die »Behandlung« des Kindes im Kindergarten stark verunsichert. Letzteres ist gerade deswegen so fatal, weil auf diese Weise Beziehungsstörungen zwischen Eltern und Kindern entstehen können, die aus dem Elternhaus heraus nie entstanden wären.
Noch einmal in aller Deutlichkeit: Ich fordere nicht, dass Erzieherinnen sich keine Gedanken darüber machen sollten, ob ein Kind eventuell in einzelnen Bereichen eine gesonderte Förderung brauchen könnte. Es ist indes eine gefährliche Tendenz festzustellen, dass diese Gedanken, also Ursachenforschung, die Suche nach Erklärungen einen deutlich höheren Stellenwert einnehmen als die professionelle Reaktion auf das Auftreten kindlichen Fehlverhaltens. Ich spreche sehr häufig mit Kindergartenpersonal und muss dabei feststellen, dass die Ansicht, durch ständiges Erklären und Hervorrufen von besserem Verständnis dem Kind in seiner Entwicklung weiterhelfen zu können, absolut dominierend ist. Leider jedoch erfüllt diese Vorgehensweise aus den genannten Gründen ihre Ansprüche nicht, was sich letztlich auch daran festmachen lässt, wie viele Erzieherinnen mittlerweile selbst ihre Tätigkeit erleben, nämlich als frustrierend, ratlos machend und überhaupt nicht mehr sinnstiftend. Nicht wenige fühlen sich mitten in einer totalen Handlungsunfähigkeit, ohne die tieferen Gründe dafür zu kennen.
Haben Sie nicht was Einfacheres? Partnerschaftlichkeitskonzepte in der Schule
Folgende kleine Szene aus einer Buchhandlung wird Ihnen vermutlich zunächst einmal ein Schmunzeln aufs Gesicht zaubern, da gehtâs mir wie Ihnen: Die Mutter einer Neunjährigen kommt in die Buchhandlung und spricht die Buchhändlerin am Lernhilfenregal hilfesuchend an: »Ich brauche unbedingt was für Mathe, vierte Klasse, meine Tochter bleibt sonst sitzen!« Nachdem die Buchhändlerin ihr einige Bücher zur Auswahl vorgelegt hat, wendet sich die Mutter erneut an
sie: »Die sind alle so kompliziert. Haben Sie nicht was Einfacheres?«
Diese Szene aus einem Weblog, der den Buchhändleralltag beschreibt, scheint auf den ersten Blick harmlos und witzig, auf den zweiten Blick offenbart sie, wie sich das Absenken des als normal empfundenen Leistungsniveaus in den Köpfen der Eltern festgesetzt hat. Die Mutter sucht nicht nach einer Hilfe, um ihre Tochter auf das in der Schule geforderte Niveau zu heben, sondern sie selbst empfindet dieses bereits als viel zu hoch, ist also voll auf der Seite ihrer Tochter und möchte diese keinesfalls mit diesem Niveau konfrontieren. Auf die Idee, dass sie ihr damit nicht weiterhilft, kommt sie gar nicht erst.
Möglicherweise ist das eine ausgefallene Reaktion, aber wie immer machen erst die Extremfälle auf die Regel so richtig aufmerksam.
An dieser kleinen Geschichte könnte auch noch etwas besonders fatal sein, was ich ob der Unkenntnis des speziellen Falls nicht wissen kann. Denn für die Schule, gerade auch die Grundschule, gilt Ãhnliches wie für den Kindergarten: Das Anspruchsniveau ist bereits über die Jahre stetig abgesenkt worden. Wenn nun diese Mutter sich noch weiter hinab begibt, bleibt die Frage, welche mathematischen Fähigkeiten ihre Tochter überhaupt noch haben sollte. Die Antwort der Mutter würde vermutlich lauten: »Wenn meine Tochter ohne Mathe glücklich wird, ist das gut, sie soll zu nichts gezwungen
Weitere Kostenlose Bücher