Warum unsere Kinder Tyrannen werden
ausgereifte Person zu sein, die gröÃten Anforderungen gewachsen ist.
Dass dieser Anspruch gegenüber einem Kind nicht einlösbar ist, lässt sich eigentlich schon bei flüchtigem Hinsehen
sofort erkennen. Diese Erkenntnis ist jedoch im Partnerschaftsdenken, und schon gar in der Projektion, nicht mehr opportun.
Häufig neigen pädagogisch tätige Menschen heute dazu, zu beobachten und zu diagnostizieren, anstatt Kinder in ihren Verhaltensweisen zu spiegeln und zu maÃregeln, obwohl gerade letzteres eigentlich das Entscheidende wäre, um der unreifen Psyche des kleinen Kindes durch stetige Wiederholung die Möglichkeit zu geben, Reifeprozesse ständig neu zu durchlaufen und damit psychische Funktionen zu bilden. Nur so liegt der Schwerpunkt auf einer Weiterentwicklung des Kindes. Anders gesagt: Die Ursachenforschung bei kindlichem Fehlverhalten darf nicht vorrangig sein. Trotzdem kann es selbstverständlich gut sein, wenn Erzieher überlegen, woran konkret dieses Verhalten liegen könnte. Ein aggressives Kind jedoch, das mit Stühlen durch die Gegend schmeiÃt, muss zunächst einmal in seiner Verhaltensweise gespiegelt werden. Zu häufig wird stattdessen im Umfeld des Kindes nach Problemen gesucht: Eifersucht auf ein neues Geschwisterkind vielleicht oder mögliche Paarprobleme der Eltern. Ist die entsprechende Diagnose dann gestellt, erfolgt die Ãberstellung an den entsprechenden Therapeuten, das Problem wird in diesen Fällen nicht gesehen und gelöst, sondern delegiert.
Es besteht die Gefahr, dass dem Kind durch dieses Verhalten des Erwachsenen sein natürliches Recht auf Orientierung und Halt durch seine Bezugspersonen verweigert wird. Es wird ohne weitere Diskussion als pathologisch gesehen und in den Kreislauf von Therapien und Medikamenten eingeschleust. Das Fehlen einer adäquaten Antwort auf die durch die aggressive Handlung ausgedrückte Frage nach Orientierung bewirkt allerdings in der Regel, dass das Kind in diese Richtung weiter testen wird. Es würde also zu weiteren, evtl.
sogar verstärkten aggressiven Schüben kommen, die für die Erwachsenen gerade vor dem Hintergrund der eingeleiteten Therapie vollkommen unverständlich sein müssen.
So kommt es zu Fällen wie der vierjährigen Sonja, die auf Empfehlung ihrer Kindergarten-Erzieherin bei mir in der Praxis landete. Grund: Sonja spiele überwiegend in einer Ecke mit sich alleine, suche wenig bis gar nicht den Kontakt mit anderen Kindern. Da die Erzieherin sich nach eigener Aussage Sorgen um das Kind mache, rate sie dringend zu einer psychotherapeutischen Behandlung, nachdem sie auch bereits in Elterngesprächen versucht habe, die Gründe für das Verhalten des Kindes zu erforschen.
Elterngespräch, Therapieempfehlung, nur scheinbar fährt die Erzieherin das ganze ihr zur Verfügung stehende Instrumentarium auf. Denn auf die naheliegendste Idee kommt sie nicht, die noch vor zehn bis fünfzehn Jahren die normale Reaktion gewesen wäre: das Kind aus der Ecke herauszuholen, es zum Spielen mit den anderen Kindern anzuhalten und dabei auch anzuleiten.
Ein weiteres Beispiel ist der fünfjährige Tom, der bei mir landet, weil er im Kindergarten mehrfach mit Stühlen um sich geschmissen habe. Im Elterngespräch nach der Reaktion der Erzieherin befragt, erzählen Toms Eltern, dass diese sich Gedanken über die Gründe für Toms Verhalten mache (also ihrer vermeintlichen Rolle als Diagnostikerin gerecht zu werden versucht) und ihnen Fragen nach eventuellen Eheproblemen gestellt habe.
Noch einmal zur Verdeutlichung: Ich prangere das Verhalten der Erzieherin nicht als falsch an: Sie muss selbstverständlich überlegen, womit das Verhalten des Kindes zu tun haben könnte. Was jedoch komplett fehlt, ist der Impuls, Tom einzugrenzen und in seinem maÃlosen Verhalten zu regeln.
In beiden Fällen treten die Erscheinungsformen partnerschaftlichen Umgangs im Kindergarten klar zu tage. Die Erzieherinnen definieren sich selbst zu selten als Leitungspersonal für das Kind. Sie akzeptieren die ihnen anvertrauten Kinder als Partner, geben ihnen alle Freiheiten zu entscheiden, wie der Kindergartenalltag ablaufen soll, und reagieren bei Schwierigkeiten damit, zu beobachten, zu diagnostizieren und anschlieÃend an Fachleute zu delegieren. Dass sie selbst ebenfalls Fachleute sein sollten (und es von ihrer Ausbildung her sein könnten), um die Kinder in
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