Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Warum unsere Kinder Tyrannen werden

Titel: Warum unsere Kinder Tyrannen werden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Winterhoff
Vom Netzwerk:
Wellness-Bereich samt Sauna und vor der Tür steht der Chauffeurdienst. […] In der neuen Luxus-Kindertagesstätte ist der Andrang trotz der monatlichen Grundgebühr von 980 Euro groß. […] Den Kindern in der zweisprachigen Kita werden u. A. musikalische Früherziehung, Schwimmen, Ballett oder auch Chinesisch-Stunden geboten - teilweise gegen Aufpreis. Die oft viel beschäftigten Eltern können zudem einen Bring- und Holdienst in Anspruch nehmen, für Physiotherapie ist eigens ein Raum eingerichtet. […] Die Kita-Leiterin sieht keine Gefahr der Überforderung, denn die Angebote ›richten sich nach den Bedürfnissen der Kinder‹.«
    Ein Extrembeispiel? Sicher. Ausdruck von Dekadenz einer bestimmten Bevölkerungsschicht, mit der die meisten Bürger eher wenig zu tun haben? Auch das, keine Frage. Doch darum geht es nicht. Gerade, weil die finanzielle Seite bei diesem Kindergarten keine Rolle spielt, darf besonders auf den Anspruch der Einrichtung geachtet werden, den diese vertritt. »Die Bedürfnisse der Kinder« sind nach Aussage der Leiterin Grundlage der Arbeit in der Kita. Die Bedürfnisse der Kinder? Wellnessbereich, Chauffeur und Sauna? Nicht schwer zu erkennen, dass die (erfüllbaren) Bedürfnisse der Eltern und die (vorgestellten) Bedürfnisse der Erzieherinnen hier die entscheidende Rolle gespielt haben. Dem Kind wird die Befriedigung dieser typischen Erwachsenen-Bedürfnisse gleichsam aufgezwungen, es hat sich in der Sichtweise der Erwachsenen genauso zu benehmen wie sie, soll die gleichen
Wünsche nach Luxus und vermeintlicher Entspannung verspüren. Und partnerschaftlich, wie Eltern und Kita-Betreiber nun mal sind, erfüllen sie den Kindern natürlich diese in sie hineininterpretierten Wünsche.
    Absurde Welt, keine Frage, aber leider Ausdruck der Veränderungen im Kindergartenbereich, die auf dramatische Art und Weise über das Partnerschaftlichkeitskonzept negativ auf die psychische Entwicklung der Kinder einwirken.
    So genannte Elite-Einrichtungen wie die eben beschriebene hat es zwar schon immer gegeben, doch auch deren Anspruch und Arbeit unterlag früher anderen Grundsätzen. Gesamtstruktur und Konzept des Kindergartens an sich haben sich grundlegend verändert. Erzieherinnen verstanden sich noch in den 80er-Jahren eindeutig als Führungs- und Orientierungsperson, und zwar sowohl gegenüber den Kindern als auch gegenüber den Eltern. Bevor das Kind in den Kindergarten gehen konnte, musste es vom Gesamtentwicklungsstand den Erzieherinnen für die Aufnahme geeignet erscheinen.
    Der Tagesablauf im Kindergarten war geprägt durch sich wiederholende Abläufe, feste Rituale also, die allem eine verlässliche Struktur gaben. Im Allgemeinen leiteten zwei Erzieherinnen eine Gruppe von 20 bis 25 Kindern, denen täglich eindeutige formale und inhaltliche Vorgaben gemacht wurden, beispielsweise feste Uhrzeiten, zu denen die Gruppe vollständig sein sollte, um mit bestimmten Angeboten beginnen zu können, feste Frühstückszeiten oder ein Stuhlkreis als Abschluss der Kindergartentages.
    Natürlich waren in dieser Struktur die Entscheidungsmöglichkeiten des einzelnen Kindes verhältnismäßig gering, sie lagen im Bereich von Unterentscheidungen, nachdem die klare, strukturierende Linie von den Erzieherinnen vorgegeben worden war. In deren Verantwortungsbereich lag
es ganz eindeutig, das Kind außerhalb der Familie in jeder Hinsicht zu fördern: sowohl im Bereich sozialer Fähigkeiten als auch bei der gesamten Motorik, der Wahrnehmung und der sprachlichen Entwicklung. Mit diesen Aufgaben war die Funktion des Kindergartens klar umrissen: Vorbereitung der Kinder auf den Besuch der Grundschule.
    Gerade für diese vorbereitende Funktion war im letzten Kindergartenjahr ein tägliches Vorschulprogramm obligatorisch. Im Rahmen dieses Programms haben die Kinder etwa eine Stunde pro Tag unter Anleitung einer Erzieherin gebastelt und gemalt. Das brachte ganz automatisch mit sich, dass Fünfjährigen abverlangt wurde, diese Zeit sitzend am Tisch zu verbringen und die Arbeitsaufträge der Erzieherin zu erfüllen. Der Effekt dieser Arbeit war nicht nur der praktische, dass der Umgang mit Schere und Stift erlernt und sicherer gemacht wurde. Die Kinder mussten zusätzlich die wichtige Erfahrung machen, manchmal auch ohne Lust diese Arbeiten ausführen zu müssen und währenddessen ihre

Weitere Kostenlose Bücher