Warum unsere Kinder Tyrannen werden
eine Hörstörung? Zumal die Mutter von mehrfachen Ohrerkrankungen im Kleinkindalter sprach.
Skeptisch wurde ich, als er neulich nach mehrfachem Rufen in meine Richtung guckte und ich ihm mit deutlichen Gesten anwies, zu mir zu kommen, und er nicht reagierte. Nach mehrtägiger Ãberprüfung durch einen Arzt stellte sich heraus, dass am Hörvermögen des Jungen nichts fehlt. Die verständnisvolle Aussage der Mutter: âºEr hört eben nur das, was er hören will.â¹Â«
Kapitel 6
Zweite Beziehungsstörung: Projektion - Eltern begeben sich unter das Kind
Das partnerschaftliche Verhältnis zum Kind ist heute der Regelfall. Einsetzend am Beginn der 90er-Jahre gibt es heute kaum noch eine Familie, in der das Zusammenleben nicht überwiegend nach partnerschaftlichen Regeln erfolgt. Es wird viel erklärt, das Kind wird wahrgenommen auf Augenhöhe des Erwachsenen und in die typischen Prozesse der Erwachsenenwelt eingebunden.
Die Entwicklung der Gesellschaft, die bereits für den partnerschaftlichen Umgang mit Kindern als wichtiger Hintergrund fungiert, stellt den Erwachsenen jedoch vor zunehmend höhere Anforderungen und hat damit auch massive Auswirkungen auf das Verhältnis zu und den Umgang mit den Kindern.
Die Rahmenbedingungen der modernen Gesellschaft stellen den Erwachsenen zunehmend vor eine Situation, in der er in die Rolle des Bedürftigen hineingedrängt wird.
Was das bedeutet, will ich an einem Beispiel verdeutlichen. Noch in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts war es eine ziemlich einfache Sache, sich einen Telefonanschluss zuzulegen. Dieser musste bei der Post beantragt werden, und auch, wenn man sich gelegentlich über die typisch langsame Arbeitsweise einer solchen Behörde geärgert haben
mag, konnte man doch sicher sein, nach kurzer Zeit einen Telefonapparat in der Wohnung stehen zu haben, der an einem funktionierenden ganz normalen Anschluss hing. Der Apparat war zudem meist Bestandteil eines Mietvertrages mit der Post, eine Kaufentscheidung über ein neues Telefon mithin nicht nötig.
Telefonieren heute bedeutet dagegen etwas völlig anderes. Vielfältige Entscheidungen sind zu treffen: Welches Telefon mit welchen Funktionen möchte ich haben? Was bedeuten überhaupt all die Abkürzungen und technischen Begriffe in der Beschreibung der einzelnen Produkte? Für welchen Anbieter entscheide ich mich, und wenn ich diese Entscheidung getroffen habe: Welcher Tarif des Anbieters ist für mich der optimale? All diese »Telefonentscheidungen« sind heute sogar doppelt zu treffen, denn, wenn der Festnetzanschluss auch funktioniert, will doch beim Handyvertrag neu über die gleichen Fragen nachgedacht werden.
Hat man sich dann irgendwann tatsächlich ein Urteil gebildet und sowohl Telefon als auch Anschluss und Tarif sind gebucht, hören die Probleme meist nicht auf. Erst stellt man ungefähr eine Woche nach Vertragsabschluss fest, dass bereits wieder viel günstigere Angebote auf dem Markt sind, dann passiert es nicht einmal selten, dass der gewählte Anschluss auf Grund technischer Komplikationen nicht wie gewünscht funktioniert. Haushalte, die wochenlang ohne Internet- oder sogar Telefonanschluss dastanden, waren in den letzten Jahren keine Seltenheit. Auch der Anschluss eines Telefons ist heute nicht mehr einfach durch das Einstecken eines Steckers in die entsprechende Buchse zu bewerkstelligen, sondern muss zumeist am PC »konfiguriert« werden.
Dieses einfache und noch viel weiter auszuführende Beispiel aus der Telekommunikationswelt zeigt mehrerlei. Selbst die scheinbar einfachsten Dinge überfordern heute
vielfach den Menschen. Technische Errungenschaften, manche davon bei näherer Betrachtung leidlich zweckfrei, stellen ihn im Alltag immer wieder vor Aufgaben, die unlösbar erscheinen. Der Aspekt der Telekommunikation ist im Ãbrigen noch in einer anderen Hinsicht beispielhaft: Der zunehmende Gebrauch technischer Geräte für die Kommunikation zwischen Menschen hat natürlich auch erheblichen Einfluss auf die Art des Umgangs miteinander. Persönlicher Austausch wird vordergründig unwichtiger, weil sich alles auf elektronischem Wege regeln lässt. Auch der Einfluss auf die Sprache selbst ist immens: So hat etwa das Medium der SMS eine ganze Reihe von Sprachverknappungen hervorgebracht, die noch vor kurzem vollkommen unverständlich gewesen wären und heute bereits ins
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