Warum unsere Kinder Tyrannen werden
Eigenbedürfnisse zurückzustellen. Es gab also eine bewusste Einübung der Frustrationstoleranz des Kindes durch das Stellen einigermaÃen schwieriger Aufgaben, die sie an der Befriedigung rein lustgesteuerter Bedürfnisse zumindest für eine Weile hinderten.
Darüber hinaus musste das Kind sich auf die Gruppe einstellen, also beispielsweise warten lernen, wenn die Erzieherin sich gerade mit einem anderen Kind befasst. Es musste sich zusätzlich auf die Erzieherin einstellen, ihr zuhören, wenn sie etwa zu den nächsten Bastelschritten angeleitet hat.
Bei all diesen Vorgängen wurden Verhaltensauffälligkeiten stets korrigiert, erkannte Defizite, so gut es ging, versucht durch Förderung auszugleichen. Eltern wurden dabei über das Verhalten des Kindes im Kindergarten informiert, auf Fehlverhalten aufmerksam gemacht und auch beraten.
Mit dem Abschluss des Kindergartens hatten sich die Kinder eine hohe soziale Kompetenz erworben. Sie waren in der Lage, sich durch Erwachsene führen zu lassen und von auÃen gesetzte Regeln zu akzeptieren. Sowohl im Wahrnehmungsals auch im motorischen Bereich verfügten die Kinder über groÃe Erfahrung, viele feinmotorische Leistungen konnten koordiniert ausgeübt werden. Jedes Kind war beispielsweise in der Lage, am Ende des Kindergartens am Schuh eine Schleife zu binden. Sprachlich wiesen diese Kinder in der Regel keinerlei Defizite auf.
Betrachte ich dagegen die heutige Kindergartenarbeit, muss ich feststellen, dass sich gravierende Ãnderungen in den Konzepten ergeben haben, die auf den Einzug eines partnerschaftlichen Umgangs mit den Kindern zurückzuführen sind.
Zunächst einmal gibt es keine Eingangsvoraussetzung im Sinne eines bestimmten Entwicklungsstandes mehr, die ein Kind erfüllen muss. Dem steht alleine schon der gesetzliche Anspruch auf einen Kindergartenplatz entgegen, der vor allem den gesellschaftlichen Druck reflektiert, Müttern so schnell wie möglich wieder das Arbeiten zu ermöglichen. In der ganzen derzeitigen Diskussion über Betreuungsplätze für unter Dreijährige ist sehr gut zu erkennen, dass der Entwicklungsstand der Kinder dabei kaum eine Rolle spielt und politischen Richtungskämpfen geopfert wird.
Schaut man in die Kindergärten, stellt man schnell fest, dass es dort im Tagesablauf immer weniger Festlegungen gibt. Rituale und Strukturen, früher fester Bestandteil, wurden für überflüssig oder einengend befunden und somit abgeschafft. Das offene Konzept, das viele Kindergärten heute praktizieren, bringt es mit sich, dass das Kind sich aussuchen kann, mit welcher Erzieherin es den Vormittag verbringen und in welcher Gruppe es sich aufhalten möchte. Es herrscht
das Prinzip der so genannten Neigungsgruppen: Dem Kind wird dabei zugetraut, selbstständig über wichtige Abläufe im Kindergarten zu entscheiden.
Bei dieser Form von Kindergartenarbeit drängt sich allzu oft der Eindruck auf, das vorrangige Ziel in diesen Einrichtungen sei, dass die Kinder Spaà haben und sich »frei« entwickeln können. Niemand möchte den Kindern die Freude nehmen, doch hat die SpaÃgesellschaft Kindergarten zur Vorbedingung, dass sich das Personal nicht mehr in der Führungsposition befindet und wenig bis gar nichts in den Abläufen regelt. Natürlich ist es nicht so, dass diesen Erzieherinnen Verhaltensauffälligkeiten der ihnen anvertrauten Kinder vollkommen entgehen. Sie fühlen sich aber auf der Partnerschaftsebene nicht mehr dafür verantwortlich, regulierend einzugreifen, sondern begeben sich in die Position des Diagnostikers, der die Auffälligkeit lediglich registriert und anschlieÃend an Eltern oder Therapeuten delegiert.
Ein weiterer Ausdruck der Position des Erziehers ist übrigens, dass Kindern heute gerne eine eigene »Persönlichkeit« zugestanden wird, und zwar bereits in sehr jungen Jahren. Der Spruch »er/sie ist schon eine richtige kleine Persönlichkeit« ist heute häufig Ausdruck der partnerschaftlichen Anerkennung kleiner Kinder durch Erwachsene. Da sich fast alle Eltern und Pädagogen heute mindestens im Partnerschaftlichkeitsverhältnis zu den Kindern befinden, wirkt dieser Spruch durchgängig wie eine besondere Anerkennung kindlicher Leistungsfähigkeit bzw. sozialer Kompetenz. Der Erwachsene holt das Kind damit auf seine Ebene und gesteht ihm ausdrücklich zu, eine psychisch und emotional
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