Warum unsere Kinder Tyrannen werden
werden.«
Schule wird oft als unangenehm empfunden, derweil sie mit Pflichten verbunden. Was ich hier frei nach Wilhelm Busch in den Raum stelle, beschreibt die Problematik. Die Mutter aus der Buchhandlung würde Pflichten wohl noch durch das härtere »Zwang« ersetzen, sich erinnernd an ihre eigene Schulzeit bzw. an noch gar nicht so lange vergangene
Zeiten, in der Schulunterricht eine ganz bestimmte, heute vielfach gegeiÃelte Form hatte.
Diese Form sah vor, dass der Lehrer ganz selbstverständlich eine Führungs- und Integrationsfigur war. Unterricht erfolgt überwiegend im Frontalunterricht; die zeitliche, inhaltliche und formale Abfolge der Tagesabläufe ähnelte sich. Lehrer waren sich vollkommen darüber im Klaren, dass ihre Tätigkeit neben der Vermittlung von Fachkenntnissen auch der Einübung vieler Funktionen etwa im Hinblick auf Feinmotorik und Koordination bestand. Darüber hinaus wurde auf das Eintrainieren von Arbeitshaltung und von Lernweisen geachtet, soziale Fähigkeiten wurden für wichtig erachtet, etwa auch, damit die an der Schule bestehenden Regeln des Zusammenlebens für die eigenen Regeln internalisiert werden konnten. Die Kinder wurden früher darin bestärkt, ihre Position im Rahmen der Klasse, also einer gröÃeren Gruppe wahrzunehmen und entsprechende Grenzen in ihrem eigenen Verhalten zu berücksichtigen.
Auf Seiten des Lehrers bestand zur Durchsetzung der VerhaltensmaÃregeln und des Lernerfolges ein ganz bestimmtes pädagogisches Rüstzeug, beginnend mit dem zentralen Instrument der Notenvergabe, aber auch mit Sanktionen wie Nachsitzen, Zusatzaufgaben oder Klassenbucheintragungen mit den entsprechenden Konsequenzen.
Die Veränderungen, die gegenüber diesem klassischen Grundschulbild eingesetzt haben, reflektieren die partnerschaftliche Tendenz in der Beziehung zwischen Lehrer und Schüler bis ins Detail. Es handelt sich dabei zumeist um Dinge, die oberflächlich betrachtet als innovativ wahrgenommen werden, wie etwa Veränderungen in der Raumgestaltung in den Schulen. Die Tendenz geht hier immer stärker in Richtung »Wohnraum«; Schule wird damit kuschelig, wohnlich. Auch, wenn nichts dagegen spricht, einen kargen Raum
angenehmer zu gestalten, geht vieles, was derzeit in Klassenzimmern zu finden ist, zu Lasten der Aufmerksamkeit. Schüler sind durch diverse Reize im Raum abgelenkt, können sich nicht auf den Unterricht konzentrieren. Auch die häufig mit allerlei Bastelarbeiten, Fotos, etc. geschmückten Wände tragen dazu bei. In vielen Klassenzimmern gibt es offene Regale mit Unterrichtsmaterialien, bei denen man sich fragen muss, welchen Sinn sie an dieser Stelle haben sollen.
Als besonders innovativ gilt hinsichtlich der Unterrichtsgestaltung zumeist auch der Gruppentisch. Die Kinder sitzen dabei nicht mehr frontal dem Lehrer gegenüber, sondern gruppieren sich um einen Tisch herum, meist zu viert oder zu acht. Somit ist das Gegenüber, das sie die meiste Zeit anschauen, ein Mitschüler, nicht mehr der Lehrer. Diese scheinbar harmlose Feststellung bedingt leider eine entsprechende Ausrichtung des Kindes: Es orientiert sich nicht an der »Führungsfigur« Lehrer, sondern an anderen Kindern, die in der Unterrichtssituation eigentlich keine Rolle spielen sollten.
Abgesehen davon bringt diese Sitzform auch neurologische Gefahren mit sich; die Wirbelsäule wird falsch belastet, wenn Kinder seitlich oder mit dem Rücken zur Tafel sitzen, wie es bei Gruppentischen für drei Viertel der Klasse naturgemäà der Fall sein muss. In manchen Klassen versucht man, diesem Effekt durch häufiges Umsetzen entgegenzusteuern und läuft damit gleich in die nächste Falle, da der dauernde Wechsel des Tischnachbarn einem strukturierten Ablauf in der Schule entgegensteht, dem Kind somit wieder eine Orientierungsmöglichkeit mehr genommen wird.
Zur Orientierung gehört beispielsweise auch so etwas Simples wie ein eindeutig festgelegter Unterrichtsbeginn. Und doch gibt es mittlerweile Schulen mit einem so genannten »freien Unterrichtsbeginn«, an dem die Kinder innerhalb
einer bestimmten Spanne entscheiden dürfen, wann für sie der Schultag beginnt. Anders gesagt: Jeder kommt, wann er will.
Die zunehmenden Entscheidungsfreiräume kommen auch im Prozentsatz des Unterrichts zum Ausdruck, der in Freiarbeit gestaltet werden soll. Dieser steigt. Immer stärker entscheiden Kinder
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