Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Warum unsere Kinder Tyrannen werden

Titel: Warum unsere Kinder Tyrannen werden Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Michael Winterhoff
Vom Netzwerk:
Überstellung an einen Therapeuten, der sich der »Depression« dieses Kindes annehmen soll. Depressionen bei Kleinkindern, teilweise sogar schon vor dem Kindergartenalter, zu diagnostizieren, hat in den
letzten Jahren einen echten Aufschwung erlebt, besonders beliebt ist diese Diagnose in den USA, aber auch hierzulande mehren sich die Studien, die kindliche Verhaltensauffälligkeiten zu einem wesentlichen Teil auf depressive psychische Zustände zurückführen möchten. Es ist an dieser Stelle nicht der Ort, eine Fachdiskussion zu diesem Thema zu führen. Jedoch zeigt das angeführte Beispiel des Erziehers, welche falschen Rückkopplungen sich ergeben, wenn ein Erwachsener, der auf Grund von gesellschaftlich bedingten Defiziten in die Projektion geraten ist, sich dazu hinreißen lässt, seine Aufgabe nicht mehr im pädagogischen Handeln, sondern in der ärztlichen Diagnose zu sehen.
    Als Kinderpsychiater bin ich neben meiner Praxis sehr viel im Heimbereich unterwegs und sehe die dort tätigen Fachkräfte ebenfalls mehr und mehr in die Projektion geraten. Zusätzlich gilt das auch für das Personal in Jugendämtern, im Grunde also für den ganzen großen Bereich der Jugendhilfe. Dort treffe ich in den letzten Jahren verstärkt das Phänomen an, dass Äußerungen von Kindern und Jugendlichen nicht mehr verifiziert werden, sondern ihnen ohne jede Überprüfung Glauben geschenkt wird.
    Was bedeutet das? Es gibt Kinder und Jugendliche, die einem ihrer Meinung nach zu restriktiven Elternhaus zu entfliehen versuchen, indem sie sich um Aufnahme in eine Jugendwohngruppe bemühen, weil sie dort bessere Lebensbedingungen in Form von »mehr Taschengeld, mehr Ausgang und weniger Forderungen« erhoffen. Diese Jugendlichen schrecken zunehmend nicht davor zurück, mit Behauptungen, sie würden geschlagen, bekämen nichts zu essen oder würden eingesperrt, eine Aufnahme in solche Gruppen zu erlangen, obwohl die angeführten Gründe einer Überprüfung keineswegs standhalten würden. Jugendamtsmitarbeiter oder Personal eines Heims, die sich in der Projektion
befinden, sehen jedoch häufig keine Veranlassung, die Angaben zu überprüfen, da sie in der unmittelbaren vermeintlichen »Hilfeleistung« an die Bittsteller ihren Wunsch nach dem Geliebtwerden unbewusst realisieren.

Lassen Sie das Kind doch! Druck durch das außerfamiliäre Umfeld
    Supermarktbesuche mit Kindern von etwa fünf Jahren verlangen von den Eltern bisweilen eine annähernd masochistische Grundhaltung. Der Supermarkt ist die ideale Spielwiese für das in der Allmachtsphase befindliche Kind, seine Macht auszutesten, die Eltern unter Druck zu setzen und sich als kleinen Diktator aufzuspielen. Nicht ohne Grund befinden sich die Spielwarenabteilungen dieser Märkte häufig in unmittelbarer Kassennähe oder zumindest auf dem Hauptlaufweg innerhalb des Marktes. Kein Kind ist in der Lage, den bunten Verlockungen in den Regalen zu widerstehen. Der Versuch, die Eltern dazu zu bewegen, irgendetwas davon käuflich zu erwerben, ist quasi unausweichlicher Bestandteil jedes Ganges in den Markt.
    Dabei ist nicht selten folgendes Phänomen zu beobachten: Das Kind quengelt und bestürmt die Eltern, ihm ein bestimmtes Spielzeug zu kaufen, nichts großes, vielleicht ein Spielzeugauto. Die Eltern reagieren ablehnend, wissen um den gefüllten Autokorb daheim im Kinderzimmer, und sagen dem Kind, dass es dieses Auto nicht bekommen werde. Ein normaler Vorgang, der mit der Absage an das Kind beendet sein müsste. Doch nun kommen die Umstehenden ins Spiel. Strafende Blicke treffen die vermeintlich herzlosen Eltern, die Vermutungen über die Hintergründe sind in den Gesichtern geradezu sichtbar. Die Küchenpsychologie hat
Hochkonjunktur in den Köpfen: Vielleicht sind die Eltern überarbeitet, haben nie Zeit und Ruhe für das Kind, vielleicht hängen sie auch völlig überholten autoritären Erziehungsprinzipien an. Auf jeden Fall ist die Lage für die Umstehenden eindeutig: Die Eltern verhalten sich falsch, es ist unrecht, dem Kind sein Verlangen nach dem kleinen harmlosen Spielzeugauto zu verweigern. Der typische Kommentar folgt irgendwann zwangsläufig: »Nun lassen Sie das Kind doch! Es ist doch nur ein Auto …!« Mit etwas Glück fügt der so Tadelnde vielleicht noch einen ebenfalls typischen Satz hinzu, der für unser Thema an dieser

Weitere Kostenlose Bücher