Warum unsere Kinder Tyrannen werden
Alltagsvokabular eingesickert sind.
Der Telefonanschluss ist nur ein Beispiel unter vielen, doch alle weisen in dieselbe Richtung. Menschen sind mit den Entwicklungen ihrer Umwelt überfordert, finden scheinbar keinen Anschluss mehr an die moderne Gesellschaft, fühlen sich »dumm« und »unfähig«, offensichtlich nicht in der Lage, mit simplen Dingen zurechtzukommen. Die angesprochene Abnahme persönlicher Kommunikation mag ein weiteres dazu beitragen, dass solche negativen Erfahrungen auch untereinander kaum ausgetauscht werden, sondern jeder immer glaubt, die anderen könnten und wüssten all das, was man selbst nicht kann und weiÃ.
Für unser Thema bedeutet das Folgendes: Beim Erwachsenen entstehen in stark zunehmendem MaÃe Defizite in wichtigen Feldern des menschlichen Bewusstseins: bei Orientierung, Anerkennung oder Sicherheit. Es stellt sich ein Verlorenheits- und Isolationsgefühl ein, dass den Menschen seiner natürlichen Eingebundenheit in die Gesellschaft der Erwachsenen nicht mehr gewärtig werden lässt.
Der partnerschaftliche Umgang mit Kindern ist die erste Reaktion auf eine solche Entwicklung. Ein sehr groÃer Teil der partnerschaftlich agierenden Erwachsenen ist jedoch bereits auf der zweiten Stufe angelangt: Sie befinden sich aus meiner kinderpsychiatrischen Sicht in der Projektion.
Es liegt in der Natur der Dinge und ist archaisch tief angelegt, dass Kinder ihre Eltern lieben. Um die Absolutheit dieser Liebe zu verdeutlichen, muss man nur die typische Verhaltensweise von Kindern sehen, die sich in einer Misshandlungssituation befinden oder befunden haben und von den Eltern getrennt werden mussten. Diese Kinder streben häufig nach kurzer Zeit zu den Eltern zurück, erklären sich ihnen gegenüber loyal, in gewisser Weise lieben sie also selbst nach den schlimmen vorangegangenen Erfahrungen immer noch ihre Eltern.
Mir geht es jedoch um etwas anderes, nämlich die Tatsache, dass Eltern, die eigentlich die Projektionsfläche für die Liebe ihrer Kinder darstellen sollten, in eine Situation geraten, in der sie das Kind zur Befriedigung ihrer eigenen Bedürfnisse benötigen. Das gleiche gilt für Erzieher und Lehrer, die gegenüber Kindern Respektspersonen darstellen müssten, und ebenfalls Tendenzen zeigen, die ihnen anvertrauten Kinder als Projektionsfläche zu nutzen, um ihre eigenen Defizite zu kompensieren.
Respekt und Liebe sind in diesem Fall ein synonymes Begriffspaar, das die Tragik der Situation aufzeigt. Beide Worte bezeichnen Formen der Anerkennung des Individuums, eine Anerkennung, die sich Erwachsene normalerweise in der Erwachsenenwelt holen müssten. Die ständige Ãberforderung aller Erwachsenen jedoch macht das unmöglich, jeder einzelne kreist vor allem um sich selbst und versucht, die Anforderungen des Alltäglichen zu meistern. Diese Erkenntnis gilt im übrigen unabhängig vom sozialen Status: Eltern
aus höheren Bildungs- und Wohlstandsschichten sind ebenso bedürftig wie solche aus bildungsferneren Kreisen.
Grundsätzlich unterscheide ich im Rahmen der Projektion zwei verschiedene Effekte beim Erwachsenen, die sich zusätzlich in unterschiedlichem MaÃe bei den Eltern oder beim weiteren Umfeld des Kindes zeigen und die ich in der Folge beschreibe:
1. Das Kind dient als Messlatte dafür, wie gut ich bin (gilt für Eltern).
2. Das Kind dient dazu, dass ich geliebt werden kann (gilt sowohl für Eltern als auch zu hohem MaÃe für die AuÃenwelt, also GroÃeltern, Erzieher, Lehrer, Mitarbeiter in Heimen und Jugendämtern).
Das Kind als Messlatte
Was es bedeutet, wenn etwa Eltern ihre Kinder als Projektionsfläche verstehen, lässt sich an einem einfachen Beispiel zeigen. Das Verhalten der Kinder im Sozial- und Leistungsbereich unterliegt klassisch der Steuerung der Eltern. Normalerweise ist es so, dass ein Fehlverhalten der Kinder in diesem Bereich Sanktionen der Eltern nach sich zieht und dass richtiges Verhalten als nicht ausreichend eingeübt betrachtet wird, folglich ein weiteres Training notwendig ist.
Eltern in der Projektion reagieren anders. Sie verstehen das Sozialverhalten und die schulischen Leistungen ihres Kindes als Messlatte dafür, ob sie selbst als gute oder als schlechte Eltern zu gelten haben. Wenn das Kind sich in beiden Bereichen positiv entwickelt, ist daheim gute Arbeit geleistet worden, gibt es Probleme, geht das hundertprozentig
negativ
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