Warum unsere Kinder Tyrannen werden
zu Lasten der Eltern. Im Ergebnis gibt es gerade bei diesem Punkt eine fatale Situation: Kein Kind zeigt in der Schule ausnahmslos gute Leistungen, ebenso, wie sich kein Kind ausnahmslos gut benimmt. Folglich schneiden alle Eltern, die sich bereits auf der Ebene der Projektion befinden, zumindest in dieser Frage schlecht ab.
Es kommt also hier zu einer Umkehrung des realen Machtverhältnisses: Der Erwachsene ist vom Kind abhängig, er definiert sein eigenes Selbstbewusstsein ausschlieÃlich über das Verhalten des Kindes.
Das Kind ist dafür da, dass ich geliebt werden kann
Der Säugling lebt zu Beginn seines irdischen Daseins im Paradies. Es gibt Vollverpflegung und Wunschbefriedigung auf Knopfdruck, der Ansatz eines Schreis genügt, um die Eltern in Bewegung zu setzen. Die Entwicklung aus diesem Paradies in Richtung auf eine gröÃere Selbstständigkeit und auf die Fähigkeit des Kindes, Phasen aushalten zu können, in denen Wünsche nicht subito befriedigt werden, erfolgt nicht automatisch, sondern unterliegt der Steuerung durch die Eltern und weitere mit dem Kind befasste Erwachsene.
Eltern jedoch, die der Projektion unterliegen, geben diese Steuerungsfunktion weitgehend auf, weil sie die normale Gegenreaktion ihres Kindes als Liebesentzug deuten, den sie auf Grund ihrer eigenen Bedürftigkeit nicht ertragen können.
Kinder empfinden die Tatsache, dass sie auf Wunschbefriedigung warten müssen, als unattraktiv und steuern mit den bekannten Mitteln gegen. Schreien, weinen, klagen, Anfälle körperlicher Aggressivität. Das ganze Repertoire kann schon mal zum Einsatz kommen, wenn etwa im Kindergarten sowohl der abliefernde Vater als auch die Erzieherin den
sofortigen Gang auf den Spielplatz zur heià geliebten Schaukel verweigern, weil dieser noch nicht auf dem Tagesplan steht.
Ein gutes Beispiel ist auch der motorische Bereich. Dieser ist nur dann angemessen zu fördern, wenn die entsprechende Bewegung vom Kind abverlangt wird. Es ist also keineswegs eine Entscheidung des Kindes, ob es eine vorher festgelegte Strecke auch wie gewünscht zurücklegt oder nicht. Kinder können, obwohl körperlich durchaus dazu befähigt, phasenweise sehr gehfaul sein, oder aber sie werden auf der geplanten Strecke durch andere Reize so abgelenkt, dass sie nicht mehr das ursprüngliche Ziel ansteuern wollen. Eltern müssten sich in diesem Fall gegen den Wunsch des Kindes durchsetzen und es zum Weiterlaufen animieren. Es würde bei einer entsprechenden Gegenreaktion des Kindes also ganz natürlich zu einem Konflikt mit den Eltern kommen, den beide Seiten aushalten müssten. Die Abhängigkeit in der Projektion führt jedoch in solch einem Fall dazu, dass diesem Konflikt ausgewichen wird, weil damit der Liebesentzug drohen würde. Es ist häufig zu beobachten, dass Kindern das Weiterlaufen nicht abverlangt wird, sondern die Eltern dem Drang nach Bequemlichkeit nachgeben. Einer der perversesten Erfindungen der letzten Jahre ist in dieser Hinsicht übrigens das so genannte Kiddy-Board, ein an den Kinderwagen anzuklickendes Rollgestell, auf das das ältere Kind sich stellen kann, wenn die Eltern das Baby im Kinderwagen schieben. Die Industrie reflektiert und unterstützt mit solchen Erfindungen passgenau die Entwicklung, die ich beschreibe, und erfindet Dinge, die Welt nicht nur nicht braucht, sondern die Fehlentwicklungen weiteren Vorschub leisten.
Häufig zu beobachten ist auch der Fall, dass die Entfernung zum Kindergarten eigentlich ein Kommen mit dem Fahrrad durchaus möglich machen würde, das Kind aber stets kutschiert
wird, weil es deutlich gemacht hat, sich der Anstrengung des Radelns nicht unterziehen zu wollen. Manchmal wird die Möglichkeit des Fahrradfahrens auch ganz grundsätzlich nicht mehr abverlangt, die Projektion erzeugt hier also eine Art von vorauseilendem Gehorsam gegenüber den vermuteten Wünschen des Kindes, die aber gar nicht mehr eigens geprüft werden.
Diese Kinder sind dann kurze Zeit später auf Grund motorischer Auffälligkeiten in ergotherapeutischer Behandlung wiederzufinden oder nehmen psychomotorische Bewegungsgruppen in Anspruch. Es mutet wie ein schlechter Witz an, dass diese Kinder oft ganz selbstverständlich mit dem Auto zur Therapie gefahren werden, in der sie dann lernen sollen, wie sie in Bewegung kommen können. Und nachdem der Therapeut versucht hat, diesen Lernerfolg zu erzielen, wird
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