Warum unsere Kinder Tyrannen werden
Stelle bezeichnender kaum sein könnte, nämlich die Vermutung: »Sie wollten doch früher sicher auch gerne mal so ein Auto haben!« Dieser Satz verweist direkt aufs Zentrum des Problems. Der Erwachsene, der so spricht, befindet sich in der Projektion. Es geht ihm gar nicht um das Kind, dem er das Auto gönnt. Sondern er sieht, also projiziert, sich selbst im Kind, er fühlt, als wenn er selbst dieses Auto würde haben wollen und es von den Eltern verwehrt bekäme. Er begibt sich also auf die Stufe des Kindes, mit hinein in die Konfrontation mit den Eltern. Dafür bekommt er selbstverständlich vom Kind entsprechende Anerkennung. Bei dieser Anerkennung wiederum handelt es sich genau um diejenige Form, die dem Erwachsenen in der Projektion von seinem natürlichem Umfeld innerhalb der Gesellschaft nicht mehr zuteil wird.
Das partnerschaftliche Denken und der entsprechende Umgang mit Kindern sind mittlerweile die absolute Regel. Die Stufe der Projektion ist zwar ebenfalls bereits sehr zahlreich vertreten, doch gibt es immer noch viele Eltern, die im GroÃen und Ganzen ihre Kinder so führen, dass eine gewisse Hierarchie gewahrt bleibt. Diese Eltern sind jedoch durch den im Beispiel beschriebenen Umstand in ihrer richtigen Vorgehensweise gefährdet. Im ihrem Umfeld leben viele
Menschen, die sich bereits in der Projektion befinden und eigentlich richtige Erziehungsprozesse unterlaufen.
Erweitert man den Begriff des Umfeldes noch etwas, wird das Dilemma noch deutlicher. So gehört in den letzten Jahren in der Bildungspolitik die Diskussion über eine Niveauabsenkung an den Schulen zum Standardrepertoire. Im Zuge einer »Bildung für alle«-Mentalität wird davon ausgegangen, dass es sinnvoll sei, schwächeren Schülern die Möglichkeit zu geben, ihre Schulkarriere problemlos zu durchlaufen. Dabei wird der Bruch, den der Ãbergang in die Arbeitswelt auf Grund der Minderqualifikation notwendigerweise hervorrufen muss, scheinbar geflissentlich ignoriert. Diese vordergründige Ignoranz könnte auch bereits Ausdruck einer unbewussten Projektion im Bereich der handelnden Politiker sein. Auch hier steuert der Wunsch nach Anerkennung die Vorgehensweise, nicht die echte Analyse der Bildungssituation, die sich an den Standards früherer Tage orientieren müsste und dabei keinesfalls den Schluss zulieÃe, dass die Anforderungen an die Schüler zu hoch seien.
Viele Schulen bekommen heute nur noch deshalb eine einigermaÃen groÃe Zahl an Schülern durch die einzelnen Jahrgangsstufen geschleust, weil sich das System des Absenkens von Leistungsanforderungen auf breiter Basis durchgesetzt hat. So berichtete mir schon vor Jahren die Lehrerin an einer katholischen Hauptschule in Nordrhein-Westfalen davon, dass ihre Schüler im Schnitt mindestens eine ganze Schulnote besser benotet würden, als es ihren wahren Leistungen entspräche. Ansonsten würde es im Notenschnitt von Fünfern und Sechsern wimmeln und nur wenige Schüler würden die Versetzung in die nächste Klasse erreichen.
Hinsichtlich der Lehrer haben wir es hier übrigens mit einem doppelten Problem zu tun. Einerseits befinden sich diese, wie beschrieben, häufig bereits selbst in der Projektion,
tragen die Entscheidungen der Politik weitgehend mit oder haben diese sogar in entsprechenden Gesprächen selbst angeregt.
Andererseits gibt es natürlich noch genügend Lehrer, die genau das eigentlich gar nicht wollen, vielmehr froh wären, wenn sie auf der Basis eines sinnvollen Anforderungsniveaus unterrichten könnten. Diese Lehrer werden in hohem MaÃe entmachtet, es werden ihnen die pädagogischen Mittel entzogen, um dieses Niveau durchzusetzen und die Kinder altersgemäà fördern zu können.
Nicht nur aus der Politik, sondern auch aus dem Elternkreis sind solche Pädagogen der Gefahr ausgesetzt, in ihrer Position geschwächt zu werden. Der Wunsch nach weniger Leistungsdruck und niedrigeren Anforderungen ist mittlerweile längst gesellschaftlicher Konsens. Lehrer, die sich nicht nach diesen Forderungen richten, kommen schnell in den Verdacht, autoritäre Knochen zu sein, eben »Pauker statt Partner«.
Das Beispiel im Supermarkt mag noch ein Schmunzeln hervorrufen, bezieht es sich doch auf eine noch einigermaÃen steuerbare und nicht allzu häufige Situation. Dennoch ist der Blick aufs Umfeld eigentlich gesunder Eltern nicht unwichtig, denn in
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