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Was allein das Herz erkennt (German Edition)

Was allein das Herz erkennt (German Edition)

Titel: Was allein das Herz erkennt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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deshalb fragte May lächelnd: »Hat Natalie gerne Eishockey gespielt?«
    »Sie war verdammt gut.«
    »Aber hat es ihr gefallen?«
    Am anderen Ende der Leitung herrschte Schweigen. May wartete. Sie sah ihn direkt vor sich, wie er da saß und an seine Tochter dachte, und May wünschte sich, sie könnte bei ihm sein.
    »Ähm.« Martin räusperte sich. »Ich schätze, Eiskunstlaufen wäre ihr lieber gewesen. Obwohl sie es mit keinem Wort erwähnte.«
    »Wie hast du es herausgefunden?«
    »Ihre Mutter gab mir einen Wink. Sie erzählte mir, dass Natalie davon träumen würde, eines Tages in der berühmten Eisrevue der Ice Capades aufzutreten. Und ihr großes Vorbild sei Michelle Kwan.«
    »Das hat Trisha dir erzählt?«
    »Ja. Wir haben eine Weile versucht, unsere Ehe zu kitten, aber es funktionierte nicht. Sie rieb mir ständig unter die Nase, dass ich keine Beziehung zu Natalie hätte. Ich wüsste nichts über ihre Vorlieben und Abneigungen, wüsste überhaupt nichts über meine Tochter. Merde! «
    May schwieg, verdaute die Neuigkeit, dass Martin und Trisha einen Versöhnungsversuch gemacht hatten.
    »He, komm ja nicht auf dumme Gedanken wegen Trisha, okay?«
    »Was für Gedanken?«
    »Dass ich mir wünschen könnte, wir wären noch zusammen. Dass uns auch nur das Geringste miteinander verband. Die Beziehung war zu Ende, bevor sie wirklich begonnen hatte – das weißt du doch, oder? Das ist eine Ewigkeit her! Mein Vater lebte damals in Kalifornien und ich hatte noch die Vorstellung, es sei nicht schlecht, eine große Familie zu haben.«
    »Ich finde diese Vorstellung auch nicht schlecht.«
    »Was bedeuten soll?«
    »Dein Vater hat mir eine Postkarte geschickt, Martin.«
    »Das soll wohl ein Scherz sein!«
    »Mit so etwas mache ich keine Scherze. Ich möchte ihn kennen lernen.«
    »Herrgott! Wann hörst du endlich damit auf? Wie oft muss ich dir noch sagen – er wird dich nicht zu Gesicht bekommen, nur über meine Leiche! Lass das Thema auf sich beruhen, um Himmels willen. Willst du alles kaputtmachen, was zwischen uns ist? Darauf läuft es nämlich hinaus, wenn du so weitermachst.«
    »Vielleicht bist du es, der alles kaputtmacht«, brach es aus May heraus. »Meine Gründe, ihn kennen zu lernen, sind genauso wichtig wie deine, ihn nicht –«
    Er legte mitten im Satz auf. Zitternd ging May zur Kommode hinüber. Sie betrachtete lange das Foto von Martin und seinem Vater. Als sie zum Telefon ging, um die Fluggesellschaft anzurufen, dachte sie an die Worte ihrer Tochter, die ihr noch in den Ohren klangen.
    Wir müssen sie zusammenbringen .

15
    M itte April, als Martin zu seinem nächsten Auswärtsspiel fuhr, bat May Tante Enid, nach Boston zu kommen und über Nacht bei Kylie zu bleiben. Sie flog mit dem Zubringer nach New York, mietete einen Kleinwagen und fuhr nach Norden, in Richtung Catskills. Es war die gleiche Strecke über die Berge wie mit dem Flugzeug, wenn sie mit Kylie zu Dr. Whitpen geflogen war.
    Estonia entpuppte sich als eine kleine Ortschaft mit alten, stillgelegten Ziegelhütten. Über einem Wasserfall an einem breiten Fluss gelegen, war es einst ein wohlhabendes Manufakturzentrum gewesen. Im Stadtpark zeugten ein muschelförmiger Musikpavillon, ein Kriegerdenkmal aus Granit und ein spiegelnder Weiher, der inzwischen verstopft und mit Schutt angefüllt war, von vergangener Größe. Die malerischen viktorianischen Häuser waren unaufhaltsam dem Verfall preisgegeben, und die stattlichen Herrensitze an der Main Street in Appartments und Büros aufgeteilt worden.
    Das Gefängnis befand sich auf dem Gipfel eines Hügels im Westen der Stadt. May erspähte es bereits aus weiter Entfernung. Als sie die Straße entlangfuhr, sah sie Leute auf dem Bürgersteig, die das gleiche Ziel wie sie hatten. Sie stellte den Wagen auf dem Besucherparkplatz ab und folgte dem Menschenstrom zum Eingang. Stacheldrahtrollen glänzten in der Sonne. Die Backsteinmauern wirkten dick und undurchdringlich, und beim Anblick der Dellen in dem grauen Metalltor dachte sie unwillkürlich an Wut und Frustration.
    Als sie den Warteraum betrat, schlug ihr der Geruch nach Schweiß, abgestandenem Zigarettenrauch und Fastfood entgegen. Es wimmelte von Menschen, vor allem von Frauen und Kindern, die durcheinander redeten und lachten. Im Gedränge eingekeilt, hatte May das Gefühl, am Ruder eines Schiffes zu stehen, auf einer Reise in ein unbekanntes Land.
    Ein Wärter an einem Schreibpult notierte ihren Namen und fragte, wen sie besuchen

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