Was allein das Herz erkennt (German Edition)
angerufen.«
»Die Playoff-Termine …«, sagte Genny hilflos.
»Sie gewinnen, und ich kann ihm nicht einmal gratulieren.«
»Das hat er auch gar nicht verdient!«, schäumte Genny. »Am liebsten würde ich ihm den Hals umdrehen.«
»Ich wünschte nur, er wäre nicht so stur.«
»Das ist typisch für Martin. Ich kann nicht aufhören, mich darüber zu wundern, und Ray genauso. Er ist richtig verbissen in seinen Groll, hält daran fest wie ein Hund an seinem Knochen.«
»Dieses Mal bin ich der Knochen.« Mays Stimme brach. Aber das Problem mit Gennys Vergleich war, dass Martin nicht festhielt, sondern losließ. Sie fühlte sich leer und ausgebrannt. Nachts rollte sie sich zu Martins Seite herüber, um ihn zu spüren, aber das Bett war leer. Wenn sie auf die Uhr sah, machte ihr Herz einen Sprung, weil sie dachte, dass er gleich nach Hause kommen musste, doch dann fiel ihr wieder ein, dass er ausgezogen war.
»Ray sagt, er sei völlig unerträglich«, erzählte Genny.
»Spricht er von mir?«
»Nein. Er scheint den Mund überhaupt nicht mehr aufzumachen.«
»Ob du es glaubst oder nicht, ich habe nur das Beste gewollt«, sagte May und wischte sich die Augen, während sie sich einen Weg durch die Rosenbüsche bahnte. »Ich wollte Klarheit schaffen, wollte helfen, die Beziehung zwischen Serge und Martin zu kitten.«
Genny schüttelte den Kopf. »Ich weiß, wie sehr Martin seinen Vater geliebt und bewundert hat. Auch wenn er das heute nicht mehr wahrhaben möchte. Er hat sich im Stich gelassen, von ihm verraten gefühlt und, als Natalie starb, nur noch Mordgelüste empfunden. Schlimmere, als wir beide das jemals nachvollziehen könnten. Seine Wut auf Serge kennt keine Grenzen, sie ist eine Triebfeder für sein unmögliches Verhalten, auf dem Eis und wo auch immer.«
»Das glaube ich auch.« May schloss die Augen, stellte sich Martins Gesicht vor. Sie hatte ihn unlängst im Fernsehen und in den Zeitungen gesehen, wie ein Bär, der sich auf seine Beute stürzt, als hätte sich seine sanfte, menschliche Seite in nichts aufgelöst.
»Gib nicht auf, May.«
»Ich bin nicht diejenige, die aufgegeben hat.« Sie standen an der Stelle, an der Martin ihr im vergangenen Jahr den Heiratsantrag gemacht hatte. Sie roch die frische Erde, Kaffeesatz, Rosenknospen. Der Duft brachte die Erinnerungen zurück und sie spürte, wie Tränen in ihren Augen brannten.
Genny nahm ihre Hand. »Als er uns von dir erzählte, konnten wir sehen, wie verändert er war, wie glücklich. Wir hofften so sehr, dass er es endlich zulassen würde, geliebt zu werden, dass er den Kampf aufgeben würde.«
»Ich wollte ihm dabei helfen.« Mays Kehle brannte.
»Manche Menschen leben für den Kampf.« Genny drückte Mays Hand. »Er treibt sie mehr an als die Liebe oder alles andere. Die Eishockeywelt liefert uns dafür die besten Beispiele.«
May umarmte sie. »Ich bin so froh, dass du gekommen bist.«
»Ich auch. Und ich wünschte, das wäre alles mein Verdienst. Du hast eine wunderbare Freundin.«
May blickte sie verdutzt an.
»Tobin macht sich große Sorgen um dich.«
»Sie hat dich angerufen?«
Genny nickte. »Ja. Sei nicht böse auf sie.«
May blickte zur Scheune. Tobin stand neben dem Teetisch und bediente Kundinnen, Mutter und Tochter, denen sie die alten Sammelalben zeigte. Sie war sechsunddreißig, genau wie May, verheiratet und Mutter zweier Kinder. Aber ihre Augen strahlten wie früher und ihre Gesten waren noch genauso lebhaft wie in der Zeit, als sie Kinder gewesen waren und Freundschaft geschlossen hatten.
»Danke.« May umarmte Genny, war ihr zutiefst dankbar, für die Ananasmarmelade und mehr.
Sobald die Kundinnen gegangen waren und sie für diesen Tag keine anderen Termine mehr hatten, ging May zum Schuppen. Licht drang durch zerbrochene Bretterwände, verlieh den Spinnweben einen silbernen Glanz. May spürte die Fäden auf Gesicht und Haar, aber sie war auf dem Land aufgewachsen und wischte sie achtlos beiseite. Die beiden Fahrräder lehnten an der Wand, die Reifen platt, nachdem sie lange nicht benutzt worden waren.
May holte zuerst ihr Fahrrad, dann Tobins heraus und blies die Reifen mit einer alten Luftpumpe auf. Sie konnte sich kaum noch erinnern, wann sie das letzte Mal zusammen Rad gefahren waren. Als sie zur Scheune hinüberblickte, sah sie, dass Tobin sie beobachtete. May lehnte die Räder gegen die Wand, ging zur Scheunentür und reichte Tobin ihre Jacke.
»Komm, lass uns fahren.«
»Ich muss noch die Aufträge
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