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Was allein das Herz erkennt (German Edition)

Was allein das Herz erkennt (German Edition)

Titel: Was allein das Herz erkennt (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Luanne Rice
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winzigen Jockstrap-Slip oder völlig nackt. Ihr Blick irrte durch den Raum, sie schenkte weder dem Ordner noch den anderen Beachtung.
    »Wo ist Martin?«
    »Mrs. Cartier!«, sagte der Ordner. »Ehefrauen haben hier keinen Zutritt. Ich richte ihm gerne etwas aus und –«
    May hörte nicht mehr zu. Sie riss sich los und machte auf dem Absatz kehrt. Martins Teamkameraden lachten nervös, riefen ihr etwas nach, sagten ihr, dass Martin bereits im Duschraum sei. Mays Ohren klingelten. Sie dachte an Tobin, die überzeugt davon gewesen war, dass er sie zurückhaben wollte, und schüttelte den Kopf. Auch beste Freundinnen waren nicht allwissend.

    *

    Am dritten Samstag im Mai hatte May die Hoffnung aufgegeben, jemals wieder von Martin zu hören. Er wollte nichts mehr mit ihr zu tun haben, das war ihr nun klar. Sie fuhr mit Kylie zum Haus der Gardners in New Hampshire. Sie lebten weit draußen auf dem Lande, hatten ein dreißig Morgen großen Anwesen in einer Landschaft, die an den Lac Vert erinnerte, und der Geruch nach frischen Blättern und Frühlingsblumen lag in der Luft.
    »Es ist so friedlich hier draußen.« May stand mit Ray auf der Veranda vor dem Haus, während Genny mit den Kindern hinten war und Drachen steigen ließ.
    »Genny und ich sind Landmenschen. Waren wir immer.«
    »Wie Martin.«
    »Er ist wie ein Bruder für mich«, sagte Ray. »Aber im Moment benimmt er sich wie ein Vollidiot. Ich weiß nicht, was in ihn gefahren ist; er ist nicht mehr er selbst.«
    »Weil er mich verlassen hat?«
    »Vor allem deshalb. Aber auch in anderer Hinsicht. Es scheint völlig verändert.«
    Die Erinnerung an Martin war immer noch so frisch und schmerzhaft, dass May bei dem Gedanken daran zusammenzuckte, wie er im Fleet Center an ihr vorbeigegangen und sie ihm in die Umkleidekabine nachgerannt war. Der Mann, den sie geheiratet und ein Jahr lang geliebt hatte, hätte ihr so etwas nicht angetan.
    »Er kann mir nicht verzeihen«, sagte sie.
    »Weil du seinen Vater besucht hast?«, schnaubte Ray. »Sein Vater war lange sein Ein und Alles. Ich werde dir jetzt einmal etwas erzählen.«
    Der Frühling ging langsam in den Sommer über, und als sich die Nacht über den Hügeln von New Hampshire herabsenkte, lauschte May den Laubfröschen, sah zu, wie die Sterne am Himmel aufgingen, und wartete darauf, dass Ray begann. Er war kleiner als Martin, aber sein Rücken und seine Schultern waren nicht weniger mächtig. Mit beinahe schwarzen Augen und Haaren war Ray eher ein dunkler Typ. Er war sanftmütig, aber wenn er in Gedanken war, wirkte seine Miene düster, und nun verfinsterte sie sich zusehends, als er zu erzählen begann.
    Martin und er waren fünfzehn gewesen, als sie beschlossen hatten, per Anhalter sechshundert Meilen nach Toronto zu fahren, um Serge Eishockey spielen zu sehen. Martin hatte seinen Vater seit fünf Jahren nicht mehr zu Gesicht bekommen und Serge war auf dem Gipfel seines Ruhms. Toronto war die Nummer eins in der Profiliga und Martin war überzeugt, wenn sie es bis zum Spielereingang in Maple Leaf Gardens schafften, würde er jemanden finden, der ihn zu Serge brachte.
    »Agnes wollte kein Wort davon hören«, sagte Ray. »Wer hätte es ihr auch verdenken können? Du hast die Narben auf seiner Brust gesehen. Martin spricht nie darüber, aber ich kann mir gut vorstellen, wie sie entstanden sind.«
    May nickte.
    »Sie verachtete Serge. Martin wollte sich ihr nicht widersetzen, aber …«
    »Er war fünfzehn.«
    »Ja, und sein Vater war der Torjäger Nummer eins in der NHL. Also machten wir uns auf den Weg, zwölf Stunden vom Lac Vert nach Toronto, per Anhalter, Mitte Januar, als das Tauwetter eingesetzt hatte.«
    »Zwölf Stunden!«, rief May ungläubig aus.
    »Der Schnee lag noch hoch, aber die Sonne schien, uns war warm und wir fühlten uns prächtig. Wir erwischten einen LKW-Fahrer, der von Quebec City nach Montreal fuhr, der Nächste nahm uns dann bis Ottawa mit, und zu guter Letzt landeten wir nach ein paar weiteren Etappen in Toronto. Erst nach unserer Ankunft wurde es richtig haarig.«
    Ray erzählte ihr, wie sie ins Stadion gelangt waren, mit jemandem am Kartenschalter gesprochen und eine Abfuhr erhalten hatten. Sie hatten versucht, sich durch den Spielereingang hereinzuschmuggeln, und dem Ordner gesagt, Martin sei Serges Sohn, hatten ihm den Schulausweis gezeigt und sich den Mund fusselig geredet.
    »Niemand hat uns geglaubt. Serge stand in dem Ruf, ein Schwerenöter zu sein, ein notorischer Junggeselle, der

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