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Was am Ende bleibt

Was am Ende bleibt

Titel: Was am Ende bleibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paula Fox
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Gefühle.»
    «Du bist ein Grobian», sagte sie und staunte über ihre eigenen Worte. Sie hatte sich gar nichts dabei gedacht; sie hatte nur zugehört, und plötzlich hatte sie das gesagt. «Grobian», wiederholte sie. Er war zurückgewichen; sein Unterkiefer hing herunter. Was sie gehört hatte, war ihr eigener Protest gegen Otto, aber warum hatte er auf Charlies Lippen diesen besonderen Klang von Unwahrheit, die sich hinter tugendhaften Meinungen so widerwärtigversteckt und nur die eigene Eitelkeit verrät? Und sie
wollte,
daß er ihr sagte, Otto sei kalt, verschlossen; ihr Wunsch nach dieser Bestätigung war wie ein geweckter und unersättlicher Appetit. Ja, sie hatte ihn Grobian genannt.
    «Du weißt nicht, was los ist», sagte er endlich. «Du bist außerhalb der Welt … im Privatleben verfangen. Du wirst das nicht überleben …, was jetzt geschieht. Leute wie du … stur und dumm und durch Selbstbeobachtung in Eintönigkeit versklavt, während ihnen die Grundlagen ihrer Privilegien unter dem Hintern weggezogen werden.» Er sah ruhig aus. Er hatte sich revanchiert.
    «Ich dachte, genau davon redest du, nämlich vom Privatleben?»
    «Ja. Aber damit meine ich etwas ganz anderes als du.»
    «Ich habe doch gar nichts über das Privatleben gesagt», protestierte sie. «Du weißt nicht, was ich über irgend etwas denke.» O doch, er weiß es, dachte sie. Sie hatte ihn mit diesem Wort getroffen. Er dachte, das konnte sie von seinem Gesicht ablesen – er versuchte, ernst auszusehen –, über «Grobian» nach.
    «Tja, vielleicht bist du nur unschuldig», meinte sie.
    «Unschuldig!» rief er. Sie lachte übertrieben. Er sah erleichtert aus. «Das ist die Wahrheit. Ich wußte nichts über Lanzelot und Ginover, bis ich dreiundzwanzig war.»
    «So habe ich das nicht gemeint», sagte sie. Sie umspannte die kalte Bierflasche mit der linken Hand. Schmerz loderte auf. Er sah, wie sie zusammenzuckte.
    «Ich bringe dich ins Krankenhaus. Gleich über der Brücke ist ein gutes.»
    «Noch nicht», sagte sie in entschlossenem Ton.
    «Warum nicht, Sophie? Es ist doch ganz einfach.»
    «Ich will nicht», sagte sie. «Ich renne doch nicht wegen einer so dummen Sache ins Krankenhaus.»
    «Dumm ist es, das nicht zu tun. Du hast Angst vor diesen Spritzen, oder? Warum gestehst du es dir nicht ein?»
    «Als ich vorhin ‹unschuldig› sagte, habe ich das nicht in sexueller Hinsicht gemeint», sagte sie spitz. «Es gibt andere Arten von Unschuld.»
    «Ruth würde dir da nicht beipflichten», sagte er. «Sie redet über nichts anderes als über die ‹neue Befreiung›. Sie hat mit Yoga angefangen und sich die Haare absäbeln lassen. Sie möchte unbedingt Haschisch auftreiben. Ich habe ihr gesagt, sie solle warten, bis sie es in der Kurzwarenabteilung von Bloomingdale kaufen kann. Im letzten Sommer hatte sie eine Offenbarung … Sie hat mir davon erzählt, wie sie am Strand neben einem Mann stand, den sie nicht kannte. Die Sonne war im Zenit und der Ozean in einem blauen Hitzeschleier, und die Hitze brannte herab. Sie sah auf seinen Rücken – seinen ‹nackten Rücken›, sagt sie – und wollte ihn umarmen. Sie spricht über sexuelle Praktiken, sie spricht vom ‹Witz› der Pornographie. Sie wird wahnsinnig, die Arme, und treibt mich in den Wahnsinn. Aber hör zu. Das Merkwürdige ist, daß wir aufgehört haben, miteinander zu schlafen. Den ganzen Winter, einen kalten Winter lang.»
    Sophie überrieselte ein Angstschauer. Sie wollte nichts darüber hören, nicht an Ruth denken, an ihr Flair sexueller Überfülle, daran, daß Ruth sie immer eingeschüchtert, ihr das Gefühl vager Unterdrückung vermittelt hatte. «In der letzten Zeit habe ich gar nicht mit ihr geredet», sagte sie verlegen.
    «Ja, das weiß ich», entgegnete er bedeutungsschwer.
    «Ich werde sie anrufen.»
    «Nein. Sie weiß ja gar nicht, was los ist. Ich erzähle ihr nicht viel. Sie ist wie ein ausgeflippter Sherlock Holmes, der die letzte Spur verfolgt. Alles dreht sich um Sex, somorbid und so banal. Ich habe niemanden, mit dem ich reden kann.»
    «Du redest gerade mit mir.»
    «Stimmt.»
    Das Paar aus der Nachbarnische ging an ihnen vorüber, die Frau weinte leise. Der Mann war dick und weiß. Sie war schwarz. Ihre Augen waren halb geschlossen, ihr Mund nach unten verzogen. Plötzlich riß sie die Augen weit auf und sah Sophie unvermittelt an. «Ich bin von Dayton hierhergekommen, um festzustellen, ob ich leben kann oder nicht», sagte sie. «Halt den Mund», sagte

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