Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Was am Ende bleibt

Was am Ende bleibt

Titel: Was am Ende bleibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paula Fox
Vom Netzwerk:
Wenn sie wirklich so denken würde, hätte sie andere Gefühle.»
    «Derzeit hat sie überhaupt keine Gefühle.»
    Der Barkeeper hatte den Fernseher lauter gestellt.
    «Versuchen Sie es mit dem Helligkeitsregler», sagte ein Mann an der Theke. «Nein, versuchen Sie es mal mit der Vertikalen.»
    «Ich mag die Oldies», sagte der Barkeeper. «Stellen Sie sich vor, nach all diesen Jahren Alice Faye wiederzusehen!»
    «Du möchtest nach Hause, stimmt’s?» Charlie beugte sich zu ihr. «Nur noch ein paar Minuten, okay?»
    «Bald. Ich mache mir jetzt Sorgen. Wenn Otto aufwacht …»
    «Wird er es anregend finden», sagte Charlie. «Willst du ihn anrufen?»
    «Er geht nicht gern ans Telefon, nicht einmal tagsüber. Und als wir von den Holsteins zurückkamen, wurden wir von einem Verrückten angerufen.» Sie sah ihn forschend an, beinahe überzeugt, daß nur er der Anrufer sein konnte; wahrscheinlich hatte er es stundenlang versucht und es am Ende, als sie abnahm, mit der Angst bekommen. Wie merkwürdig, wenn er, der so leidenschaftlich entschlossen war, Otto entgegenzutreten, schon dann die Sprache verlor, wenn jemand nur den Hörer abhob.
    Er beugte sich immer noch vor, aber sein Nacken und seine Schultern sahen so angespannt aus, als sei er gezwungen, in einer vertraulichen Haltung zu verharren, lange nachdem der ursprüngliche Impuls verflogen war. «Erzähl mir eine Geschichte», sagte er. «Ich will noch nicht nach Hause.»
    «Du wolltest Otto sehen», sagte sie. Erzählte sie ihm etwas, oder fragte sie ihn etwas? Die Nische war ein kleiner, kühler Raum. Ein Geruch nach Feuchtigkeit stieg von dem Plastiksitz empor. Irgendwo innerhalb dieses begrenzten Raums roch es leicht nach Mixed Pickles. Sie machte eine abrupte Bewegung und merkte, daß der Kunststoff an ihren Schenkeln festklebte. Der Barkeeper fummelte am Apparat herum. Nur zwei andere Personen saßen an der Theke, ältere Männer, weder betrunken noch nüchtern. Charlie beugte sich immer noch zu ihr; sie fing an, sich atemlos, in die Enge getrieben zu fühlen. Sie stellte sich vor, wie sie die Treppe hinaufschlich, die Kleider auszog, ihr Gesicht zwischen Ottos Schulterblätter legte und in einen süßen, häuslichen Schlaf wie in warmes Wasser eintauchte.
    «Das warst doch nicht du, Charlie, der da angerufen hat, oder?»
    Er seufzte und lehnte sich zurück. Er beantwortete die Frage nicht. «Ich möchte Otto sehen. Ich muß ihn sehen. So kommt er mir nicht davon … Noch fünf Minuten, und dann gehen wir. Einverstanden? Erzähl mir mehr von dir.»
    «Dann werde ich dir etwas über meine Liebesaffäre erzählen.»
    «Ja», sagte er und nickte. «Darüber würde ich gern etwas hören.» Er lächelte großmütig. «Eine neuere Sache?» fragte er leichthin.
    «Liegt ein paar Jahre zurück», sagte sie und erschrak über das, was sie angerichtet hatte. Er hatte eine leidende Miene aufgesetzt. Sie hatte einen Fehler gemacht. Sie hatte sich vorgestellt, daß ihre spontane Flucht von zu Hause, von Otto, sie von den Zwängen der Vorsicht und der Täuschung, von den Gewohnheiten des Lebens bei Tage mit ihrer stumpfen und eintönigen Vertrautheit befreit habe. Sie hatte dem Umstand vertraut und die Beteiligten übersehen. Er beobachtete sie. Sie wollte das, was sie gesagt hatte, zurücknehmen. «Ich erfinde etwas, um dich zu unterhalten», sagte sie. Er streckte seine Hand über den Tisch und nahm ihre Hand. «Das ist die verletzte!» schrie sie auf, und er ließ sie sofort los.
    «Warum bist du so entsetzt?» rief sie.
    «Bin ich nicht. Es ist doch ganz normal», sagte er. «Allerdings habe ich es für selbstverständlich gehalten, und letztlich für unwichtig.»
    «Ich habe doch gesagt, daß ich es erfunden habe», sagte sie.
    Er lachte. «Schon in Ordnung. Aber ich glaube dir jetzt nicht. Ich habe gesehen, wie dein Gesicht aussah, vor allem, als du ‹mein› gesagt hast. Du warst aufgeregt.»
    «Mein Gott!» sagte sie und legte sich die Hand über die Augen. «Nun, es gibt keine Geschichte. Normal, wiedu sagst.» Sie ließ die Hand fallen und fing an, sich den Mantel über die Schultern zu ziehen.
    «Damals dachten Otto und ich an Trennung.»
    «Wirklich?»
    «Sonst wäre es nicht passiert.»
    «Davon weiß ich nichts», stellte er sachlich fest.
    «Ich möchte jetzt gehen. Meine Hand tut fürchterlich weh. Bring mich bitte zu einem Taxi.»
    «Ich begleite dich bis nach Hause», sagte er.
    Im Taxi redeten sie nicht miteinander. Aber er wandte sich oft zu ihr; sie

Weitere Kostenlose Bücher