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Was am Ende bleibt

Was am Ende bleibt

Titel: Was am Ende bleibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paula Fox
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eines Malers, der sie oft im August besucht hatte. Sie entsann sich, wie er jedes Gerät auf dieser Arbeitsfläche hochgehoben, nahe an sein Gesicht gehalten und seine Form mit den Fingern nachgezogen hatte und wie er, wenn er ankam, seine Hände im Spülbecken in der Küche gewaschen und dabei die gelbe Küchenseife benutzt hatte. Sie hatte ihn sehr gern gehabt, sein kräftiges, hübsches Gesicht gemocht, die Art, wie die Haut seiner Hände unter dem Wasser aus dem Hahn glänzte, die Art, wie er Dinge mit der unbefangenen und ernsten Neugierde eines Kindes oder eines besonders wachsamen Tiers nur
antippte
. Er hatte, erinnerte sie sich, während sie nachdachte, eine bestimmte Art von Eigenliebe gehabt, wie sie vielleicht von Armut herrührt, weil man eben nichts anderes zum Lieben hat. Er war arm, hatte nichts außer verflossene Ehefrauen, von denen er gleich mehrere besaß, und er hatte viele Theorien darüber entwickelt, wie man ein Leben meistert, das er mit dem ruhigen, blinden Eifer einer Person beschrieb, die ihre Wahrheiten von der Sonne empfängt. Er rauchte und trank nicht – nahm höchstens von Zeit zu Zeit eine Prise Meskalin –, und wenn er sich zu einem von Sophies Abendessen an den Tisch setzte, stöhnte er mit gespieltem Entsetzenangesichts der Völlerei, der er nun gleich frönen werde. Er koche sich kaum noch etwas zum Essen, sagte er, und es sei ihm beinahe gelungen, ganz auf Fleisch und Fisch zu verzichten. Deshalb hatte sie in ihrer Befangenheit zu ihm gesagt, sie würde am liebsten das Rauchen aufgeben, doch sie nehme an, ein «Charakterfehler» sei Schuld an ihrer Unfähigkeit, und sie war über seinen Spott schockiert gewesen, als er ihre Stimme nachäffte und sie piepsend und albern klingen ließ: «Charakterfehler, Charakterfehler», hatte er gezirpt und sie ausgelacht. Als sie im Herbst tatsächlich mit dem Rauchen aufhörte, hatte sie ihm ein paar Zeilen geschrieben – er war abgereist, um den Winter in irgendeiner Scheune in Vermont zu verbringen – und ihm mitgeteilt, daß sich ihr Charakter bessere, aber er hatte ihr nie geantwortet. Wie ihr plötzlich klar wurde, dachte sie jetzt an ihn, weil sie auf das starrte, was von dem Gegenstand übriggeblieben war, den er am meisten gemocht hatte: eine Flasche in Form einer Traube, in der der Weinessig aufbewahrt wurde und die jetzt in Scherben auf dem Tisch und überall herumlag, und die Flecken im Holz dort, wo der Essig eingesickert war. Sie runzelte die Stirn, drehte sich schnell vom Tisch weg. Die Tür zur Speisekammer stand offen, und über den Boden verstreut lagen eine große Packung mit grob gemahlenem Salz, Konservendosen und ein Besen, aus dem das Stroh herausgezupft war.
    Sie ließ Portemonnaie und Buch auf den Schaukelstuhl fallen und rannte durch das Wohnzimmer zur vorderen Eingangstür, die sie aufschloß und gerade in dem Augenblick aufstieß, als Otto den ersten Schritt auf die Veranda machte.
    «Es ist jemand im Haus gewesen.»
    Er stellte den Strohkorb ab. «
Hier?
» Und als das Stauneneiner hilflosen Wut Platz machte, wiederholte er «Hier» ohne Nachdruck oder Überraschung, als habe er alles, was er zu wissen brauchte, in einer halben Minute begriffen.
    Wer immer es gewesen war, er war durch das Schlafzimmer im Erdgeschoß hereingekommen. Die Fensterscheibe war eingeschlagen, der Laden aus den Angeln gerissen. Aus der Schaumgummi-Matratze, die über den Boden geschleift worden war, ragte noch immer der Griff eines französischen Hackmessers. Das Rohrgeflecht der Eßzimmerstühle war zerfetzt, Meeresmuscheln, zu Staub zertreten, auf dem Boden, kaputte Lampen, der Paisleystoff der Sofadecke in Streifen gerissen, Kissen ausgenommen, und über jedes Bild oder Foto war mit Farbe ein riesiges X gemalt. Oben im Badezimmer lag eine verweste Spottdrossel in der Wanne, und Talkumpuder, Aspirin, Desinfektionsmittel und Mundwasser waren auf den Boden gekippt worden. Kleider waren aus den Schränken gezerrt und wie wahnsinnig mit Scheren zerschnitten worden. Bücher waren in zwei Hälften gerissen. Im Eßzimmer fand Sophie unter dem Tisch eine leere Bourbonflasche.
    Sie hörten bald auf, überrascht aufzuschreien; sie sammelten die Gegenstände ein, untersuchten sie und ließen sie wortlos wieder fallen. Otto hielt den zertrampelten Rücken eines Buches hoch, damit Sophie ihn sehen konnte; Sophie zeigte ihm eine Scherbe des Kruges aus Bennington-Porzellan. Er fing an, die Möbel zurechtzurücken, das zerbrochene Glas mit dem

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