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Was am Ende bleibt

Was am Ende bleibt

Titel: Was am Ende bleibt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Paula Fox
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geöffnet hatte. Stammgäste, die immer im Sommer kamen, hatten es sich zum Ritual gemacht, hier jedes Jahr anzuhalten, um sich zu vergewissern, daß die ständige Dekoration in seinem Fenster nicht entfernt worden war – ein Stück Apfeltorte aus Plastik, auf dem eine gelbliche Styroporkugel von Jahr zu Jahr mehr verfiel.
    Früher war Flynders eine Stadt, ein Zentrum für die umliegenden Bauernhöfe gewesen. Der größte Teil des ungepflegten, brachliegenden Ackerlandes war inzwischen wieder versumpft und hatte eine Zeitlang für Unmengen von Vögeln als Rastplatz gedient. In jedem Sommerhaus gab es immer noch, im Schrank oder in Körben oder in Bücherregalen, abgegriffene Ausgaben von Roger Tory Petersons
Field Guide to the Birds
. Eines Tages aber hatten die Dorfbewohner die Leute von der Moskitobekämpfung geholt, und jetzt gab es nur noch wenige Vögel, und im sauren Boden wuchsen giftiger Efeu und wilder Wein. Den Bäumen, die noch nicht von den häufigen Dürrekatastrophen beschädigt worden waren, hatte die Ulmenbraunfäule den Garaus gemacht. Nur in der Mitte des Dorfes hatten drei Rotbuchen überlebt, schwarz in der Mittagssonne, purpur in der Dämmerung. Selbst die Einheimischen priesen sie, wenn auch vielleicht nicht gar so überschwenglich wie die Sommergäste. Ein Herrenhaus blieb unbewohnt und unverkauft. Es thronte auf einer kleinen Erhebung, ein bedrohliches, häßliches Haus, ein Schubkarren, abgestellt und aufgegeben von irgendeinem Millionär aus den zwanziger Jahren, zurückgelassen als Zeugnis für die Macht des Geldes, Scheußlichkeit von dauerhafter Aggressivität hervorzubringen.
    In Flynders lebten ein paar junge Leute, die viele Kilometer pendelten, um in fern gelegenen Städten zu arbeiten. Sie wohnten in Häusern, die sie gekauft hatten, abseits des Highways, in grünen oder blauen oder rosa Kisten, aufgestapelt in Räumen über Doppelgaragen, mit Jalousien an den Fenstern. Ein Grundstücksmakler in Riverhead wickelte die Vermietungen und Verkäufe in Flynders ab.
    Das Haus der Bentwoods, ein kleines Bauernhaus aus dem 19. Jahrhundert, das genau in der Mitte einer Wiesestand, lag anderthalb Kilometer nördlich des Dorfes. Otto hatte um das Haus einen niedrigen Palisadenzaun errichtet – nicht, weil sie Nachbarn in der Nähe hatten, sondern, weil ihn sein Ordnungssinn gezwungen hatte, zwischen dem, was unmittelbar zum Haus gehörte, und dem, was Teil der offenen Felder war, zu unterscheiden. Von ihrer Terrasse aus konnten sie die Scheune sehen, die Otto dazugekauft hatte und die zwei Wiesen weiter östlich lag. Der kleine Zaun hatte Sophie kribbelig gemacht, und deshalb hatte sie vor zwei Sommern begonnen, vor ihm Pflanzen zu ziehen. Sie war eine geschickte, aber keine leidenschaftliche Gärtnerin. Sie hatte nicht die ausdauernde Geduld, die für die Gestaltung einer Landschaft unerläßlich ist. Wenn etwas den Sommer nicht überlebte, verlor sie das Interesse daran, und sie würde es auch nicht wieder versuchen.
    Otto bog auf ihren Feldweg ein. Der Briefkasten hing schief an seinem Holzpfosten. Vor ihnen lag das Haus mit seinen geschlossenen Fensterläden, und ein Korbstuhl, den sie draußen vergessen hatten, stand kopfüber auf der Terrasse. Der Boden war hubbelig und grau und sah nackt aus. Im Sommer wurde das Gras von einem Mann aus dem Ort gemäht, der das Heu an einen Stall in Southampton verkaufte. In einem der kahlen Ahornbäume beim Haus hing wie ein Steppenläufer ein bienenkorbförmiges Vogelnest vom letzten Sommer. Während sie den mit Ziegeln gepflasterten Weg hinaufgingen, sah Sophie aus einem Augenwinkel an der Stelle, wo die Gartenmelisse wuchs, ein Paar grüne Baumwollhandschuhe, halb im harten Boden versenkt.
    «Ich habe das Mittagessen ganz vergessen», sagte Otto und reichte ihr den Schlüssel zur Hintertür. Sie schaute zuerst durch das Küchenfenster. Sonnenlicht lag auf dem Boden und fiel auf die Ahornholzkufen desSchaukelstuhls. Eine Welle reinen Glücks durchströmte sie.
    Die Kälte drinnen, die Kühle eines Hauses, das monatelang leergestanden hatte, fühlte sich weich an, erinnerte entfernt an ein Betäubungsmittel. Sophie ging langsam auf den Tisch zu, bemerkte mit Freude ein Sortiment von Küchenutensilien, von denen die meisten Duplikate der Dinge waren, die sie in Brooklyn hatte. Sie hob eine runde Blechdose hoch und schüttelte sie, um die Ausstechförmchen klappern zu hören; dann erinnerte sie sich plötzlich an das Gesicht eines ihrer Sommerfreunde,

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