Was am Ende bleibt
unternehmungslustige Literaturfreunde konnten bei sich zu Hause weiterhin bestimmten gut bewachten Kulturdenkmälern Wochenendbesuche abstatten – dem Tempel Toni Morrisons, dem Orchester John Updikes, dem Faulkner-Haus, dem Wharton-Museum und dem Mark-Twain-Park.
Anfang der neunziger Jahre lag ich ebenso danieder wie der Stadtkern der Literatur. Mein zweiter Roman,
Schweres Beben
, war die lange, komplizierte Geschichte einer in einer Welt der moralischen Umbrüche lebenden Familie aus dem Mittleren Westen, und statt meine Bomben wieder in einem mit Ironie und Understatement wattierten Umschlag zu verschicken, wie ich es in
Die 27ste Stadt
getan hatte, warf ich nun rhetorische Molotowcocktails. Doch das Ergebnis war dasselbe: erneut ein Zeugnis mit Einsen und Zweien von den Rezensenten, die an die Stelle der Lehrer getreten waren, deren Lob ich in früheren Jahren ebenso gesucht wie als unbefriedigend abgetan hatte, dazu ordentlich Geld und die Grabesstille der Bedeutungslosigkeit. Unterdessen waren meine Frau und ich in Philadelphia wieder zusammengekommen. Zwei Jahre lang waren wir, auf der Suche nach einer schönen, erschwinglichen Bleibe, in der wir uns nicht als Fremde fühlten, in drei Zeitzonen herumgesprungen. Nach diesem erschöpfenden Hin und Her hatten wir schließlich ein zu teures Haus in einer ebenfalls daniederliegenden Stadt gemietet. Dass es uns dann weiter schlecht ging, schien ohne jeden Zweifel zu bestätigen, dass es für Schriftsteller auf der Welt eben
keinen
Ort gab.
In Philadelphia begann ich, wenig hilfreiche Berechnungen anzustellen, indem ich die Anzahl der Bücher, die ich im Jahr davor gelesen hatte, mit der Anzahl der Jahre multiplizierte,die ich voraussichtlich noch leben würde, und das dreistellige Resultat weniger als einen Hinweis auf die Sterblichkeit verstand (obwohl mich die Erkenntnisse an dieser Front nicht gerade aufheiterten) denn als ein Maß für die Unvereinbarkeit der langsamen Lesearbeit mit der Hyperkinese modernen Lebens. Plötzlich schien es mir, als entschuldigten sich die Freunde, die früher gern gelesen hatten, nicht einmal mehr dafür, damit aufgehört zu haben. Eine junge Bekannte, die Englisch im Hauptfach studiert hatte, antwortete auf meine Frage, was sie gerade lese: «Du meinst,
linear
? Also von vorn bis hinten?»
Literatur und Markt hatten noch nie viel füreinander übrig. Die Konsumwirtschaft will Produkte, die hoch im Kurs stehen, sich schnell abnutzen oder für regelmäßige Verbesserungen geeignet sind und mit jeder Verbesserung einen marginalen Zuwachs an Nutzen bringen. Für eine solche Wirtschaft ist etwas Neues, das etwas Neues bleibt, nicht nur ein minderwertiges Produkt; es ist ein
antithetisches
Produkt. Ein Klassiker der Literatur ist preiswert, unbegrenzt wiederverwendbar und, was das Schlimmste ist, nicht zu verbessern.
Nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion hatte sich die amerikanische Volkswirtschaft darangemacht, ihre Gewinne zu konsolidieren, ihre Märkte zu erweitern, ihre Profite zu sichern und ihre wenigen noch verbliebenen Kritiker zu zermürben. 1993 sah ich die Anzeichen der Konsolidierung überall. Ich sah sie in den dickleibigen Mini-Vans und breithüftigen Geländewagen, die den Pkw als das bevorzugte Fahrzeug der Vorstadt abgelöst hatten – diese Rangers und Land Cruisers und Voyagers waren die wahre Beute eines Krieges, der geführt wurde, damit das amerikanische Benzin seinen Spottpreis behielt, eines Krieges, der als tausend Stunden langes Infomercial für Hochtechnologie daherkam, eines vom Privatfernsehen angezettelten Verbraucherkrieges. Ich sah, dass der Laubbläser den Rechen verdrängte. Ich sah,dass CNN Reisende in den Wartehallen von Flughäfen und Käufer in den Schlangen vor Supermarktkassen in Geiselhaft nahm. Ich sah, dass der 486er-Chip den 386er ersetzte und seinerseits vom Pentium ersetzt wurde, sodass der Preis, den Laptops für Einsteiger kosteten, trotz größerer Stückzahlen nie unter tausend Dollar fiel. Ich sah, dass die Football-Mannschaft der Penn State University die Blockbuster Bowl gewann.
Doch noch während ich für das Lesen von Literatur eintrat, überkam mich eine solche Depression, dass ich nach dem Abendessen kaum mehr etwas anderes tun konnte, als mich vor den Fernseher zu hauen. Wir hatten keinen Kabelanschluss, trotzdem fand ich immer etwas Gutes: ein Spiel der Phillies gegen die Padres, der Eagles gegen die Bengals, Serien wie
M∗A∗S∗H, Cheers
und
Homicide
. Aber je mehr
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