Was am Ende bleibt
zu kennen.
Doch Shirley MacLaine ein bisschen besser zu kennen, das ist es, was das Land vor allem will. Wir leben in einer Tyrannei des Faktischen. Die täglich neu ans Licht kommenden Geschichten über O. J. Simpson, Timothy McVeigh und Bill Clinton haben eine intensive Bildpräsenz, die unser nicht vom Fernsehen ausgestrahltes Leben in eine untergeordnete Schattenwelt verbannt. Um ihren Anspruch auf unsere Aufmerksamkeit zu rechtfertigen, sind die Massen- und Infomediengezwungen, im täglichen, ja stündlichen Rhythmus etwas «Neues» anzubieten. Auch wenn gute Romanschriftsteller nicht bewusst auf Trendsuche gehen, verspüren doch viele die Verpflichtung, zeitgenössische Themen zu berücksichtigen, und auf einmal sehen sie sich einer Kultur gegenüber, in der fast alle Themen fast allzeit abgegessen sind. Eine Autorin, die über Gesellschaftliches erzählen will, das nicht nur 1996, sondern auch 1997 noch wahr ist, kann um handfeste kulturelle Bezugspunkte verlegen sein. Was relevant ist, während sie den Roman entwirft, erweist sich, wenn er erst geschrieben, umgeschrieben, gedruckt, ausgeliefert und gelesen ist, mit hoher Wahrscheinlichkeit als passé.
Nichts davon hindert Kulturkritiker – in Sonderheit Tom Wolfe –, Romanautoren den Verzicht auf Gesellschaftsbeschreibungen vorzuwerfen. Das Auffälligste an Wolfes 1989 geschriebenem Manifest für den «Neuen Gesellschaftsroman», auffälliger noch als seine gespenstische Unkenntnis der zahlreichen zwischen 1960 und 1989 veröffentlichten hervorragenden gesellschaftskritischen Romane war sein Versäumnis zu erklären, warum sein idealer «Autor neuer Gesellschaftsromane» keine Drehbücher für Hollywood schreiben sollte. Es lohnt also, noch einmal festzuhalten: So wie die Kamera der anspruchsvollen Porträtmalerei einen Pflock durchs Herz trieb, hat das Fernsehen dem Roman als Sozialreportage den Garaus gemacht. Wahrhaft engagierte Romanautoren finden sicher noch Risse in dem Monolithen, in die sie ihre Kletterhaken schlagen können. Das aber tun sie in dem Wissen, dass sie sich nicht mehr, wie einstmals Howells und Sinclair und Stowe, auf ihr Material, sondern nur noch auf ihr eigenes Empfinden verlassen dürfen, und in der Erwartung, dass niemand ihre Bücher noch als etwas Neues liest.
So viel jedenfalls erkannte Philip Roth im Jahr 1961. Ausgehend von der Beobachtung, dass «das Gefühl, nicht wirklichim eigenen Land zu leben – wie es in
Life
dargestellt ist oder wie man es wahrnimmt, wenn man zur Haustür hinausgeht –, für einen Autor fiktionaler Texte ein ernstes Berufshandicap sein muss», fragte er recht wehmütig: «Was wird also sein Thema sein? Etwa die Landschaft um ihn herum?» In den Jahren seitdem hat sich das Rad allerdings noch weiter gedreht. Unser Veralten hat nicht mehr nur damit zu tun, dass das Fernsehen die Rolle des Neuigkeitenübermittlers an sich gerissen hat, und ist weit tiefer begründet als durch die Verdrängung des Imaginierten durch das Faktische. Flannery O’Connor, die um dieselbe Zeit schrieb, als Roth seine Bemerkungen machte, betonte in
Mystery and Manners
, das «Geschäft der Literatur» sei es, «Mysterien durch Gewohnheiten auszudrücken». Wie die Poetik, die Poe von seinem «Raben» ableitete, schmeichelt O’Connors These vor allem ihrem eigenen Werk, trotzdem besteht kaum ein Zweifel, dass «Mysterien» (wie sich der Mensch dem Sinn des Daseins entzieht oder stellt) und «Gewohnheiten» (die grundlegenden Mechanismen menschlichen Verhaltens) schon immer die primären Themen eines Schriftstellers waren. Was den Autor von Romanen heute mit Schrecken erfüllt, ist die Erkenntnis, dass der Technologie-Konsumismus, der unsere Welt beherrscht, speziell darauf abzielt, diesen beiden Themen die Grundlage zu nehmen.
O’Connors Antwort auf das Problem, das Roth formulierte, nämlich, dass es in der nationalen Medienlandschaft wenig gebe, das Romanautoren als ihr
Eigenes
betrachten könnten, bestand in dem Verweis darauf, dass die beste amerikanische Literatur immer die regionale gewesen sei. Das war insofern etwas ungeschickt, als ihr Idol der kosmopolitische Henry James war. Was sie jedoch meinte, war, dass die Literatur vom Besonderen lebt und dass die Gewohnheiten in einer bestimmten Region schon immer besonders fruchtbaren Boden für diejenigen boten, die sie beschrieben.
An der Oberfläche zumindest floriert der Regionalismusnach wie vor. An Universitäten ist es heutzutage sogar «in» zu behaupten, es
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