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Was am See geschah

Was am See geschah

Titel: Was am See geschah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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keiner konnte ihr helfen. Sam.
    »Es ist zu spät.«
    Die Veränderung in seinem Tonfall durchzuckte sie wie ein elektrischer Schlag. Aus dem Augenwinkel sah sie, wie sich das Messer, an das er sich nun wieder erinnerte, bewegte. Sie hatte genau das Falsche gesagt: Es stand ihr nicht zu, Dr. Hooper zu verteidigen; es stand ihr lediglich zu, Wade zu bestätigen, daß er recht hatte. Wade Hayden brauchte die Absolution; vielleicht würde er sie beide umbringen, aber er brauchte etwas von ihr. Deswegen war seine Stimme jetzt kalt vor Zorn.
    Auf einmal war die Furcht verschwunden. Sie verstand nicht, warum oder wie sie von ihr abgelassen hatte, um dann fortzugehen und sie von einem anderen Standort aus zu beobachten. Sie blinzelte, schaute über das Wasser, und entweder war die Gestalt von vorher zurückgekehrt, oder da stand eine andere, die ihr sehr ähnelte. Die Gestalt war nicht mehr als ein schwarzer Strich, aber sie konnte noch immer das winzige Lichtpünktchen der Zigarre oder Zigarette erkennen. Es war, als sei die Furcht über das Wasser geflohen und stünde nun da drüben und beobachte sie.
    Maud saß nur da und wartete und strich mit der Hand über ihren Gedichtband, als sei er eine Art Talisman. Sie verstand dieses neue Gefühl nicht ganz; da saß sie nun mit einem Wahnsinnigen, einem Psychopathen und Mörder am Ende des Piers und fühlte sich ganz leicht. Sie blickte über das Wasser und spürte, wie sich das Bild vor ihr in Lichtpartikel auflöste und sich dann zu etwas zusammensetzte, das einerseits dasselbe und dann doch auf subtile Weise anders war, etwas, das nicht mit dem bloßen Auge erkannt, sondern nur erfühlt werden konnte. »Ramon Fernandez, sage mir...«
    Wade sagte etwas.
    »Was?« fragte sie.
    »›Ramon‹, ham Sie gesagt.«
    Offensichtlich hatte sie den Namen laut ausgesprochen.
    »›Ramon Ferdinand‹ ham Sie gesagt. Wer ist das?«
    »Nicht ›Ferdinand‹. Fer- nan -dez.«
    »Was issn das für ein Name? Is das ein spanischer Name?«
    Sie lächelte ein wenig und fuhr mit der Hand über das Buch. »Vielleicht ein kubanischer.«
    »Klingt nach ’nem Mexi.« Verärgert spuckte er ins Wasser. Er schien vergessen zu haben, warum er da war.
    Sie lächelte wieder. »Hmm, ist aber keiner.«
    »Das is einer von diesen Mexi-Namen«, sagte er eingeschnappt.
    Maud dachte einen Moment lang nach und begann dann zu schaukeln. Es war, als sei es ganz normal, daß sie nachts zu zweit hier unten am Pier plauderten. Zu dritt, dachte sie, als ihr Ramon wieder einfiel.
    »Er ist ein Freund von mir.«
    »Na ja.« Seine Stimme klang irgendwie entschuldigend, aber er war immer noch eingeschnappt.
    »Ein guter Freund. Ja, ich kenne ihn seit - ach, schon viele, viele Jahre.«
    Sie wandte sich ihm zu, um ihn zu betrachten, das hagere und zerfurchte Profil, die Hand mit den abgebissenen Nägeln, die das Messer jetzt nur noch locker umschloß.
    »Er ist nich aus unsrer Gegend, oder? Ich glaub, so ’nen Namen würd ich mir merken.«
    »Nein, er ist nicht von hier.« Sie machte eine Pause. »Er lebt auf Key West.«
    »Key West, Florida? Da, wo die ganzen Schwulen sind? Jetzt sagen Sie bloß noch, daß er schwul is.«
    »Er hat einen Yachthafen. Wissen Sie - wo die Leute ihre Boote festmachen.«
    Wades Mund war wieder am Arbeiten und spuckte dann aus: »Typische Schwulenarbeit.«
    »Er ist wunderschön, der Hafen. Die vielen Boote.«
    »Sie waren doch nie in Florida, oder?«
    Maud schaukelte langsam weiter und betrachtete die Reihe der Boote auf dem Wasser. »Nur ein einziges Mal. Es ist so schön. Die Sonne geht direkt hinter dem Hafen unter. Solche Sonnenuntergänge haben Sie noch nie gesehen, hier oben im Norden gibt’s das nicht.«
    »Verdammt, die Sonne geht dort genauso unter wie überall. Was ist denn so Besonderes an Key West? Weit und breit nix als Schwule.«
    Er hatte anscheinend alles vergessen. Das Blut, das Messer, den Grund für sein Hiersein vergessen; und sie schaukelte weiter und redete über Key West, das sie nur aus ihren Phantasien kannte. Und dann hatte sie auf einmal das Gefühl, daß das, was jetzt geschah, gar nicht so bedeutend war. Schlimmstenfalls konnte Wade das Messer nehmen und es in sie hineinrammen. Und im großen Plan der Dinge, der Kriege und Hungersnöte, Flutkatastrophen und Feuersbrünste, war das nicht viel. Was die Leute für wichtig hielten, hatte im Grunde dieselbe Bedeutung wie eine Rassel für ein Baby: etwas Buntes halt, das ein angenehmes Geräusch macht. Etwas, was das

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