Was am See geschah
Und er bezweifelte, daß irgend jemand hier auf dem Fest Belle Harbor als schön, geschweige denn als seine Heimat bezeichnen würde.
Er war auf dem Treppenabsatz stehengeblieben. Zwei große Treppenbögen schwangen sich hinab ins Foyer, einen riesigen, schwarz-weiß gefliesten Saal. Hier hing ein Kronleuchter aus kristallenen Tränen, der einige der Gäste in die Fragmente eines Kaleidoskops verwandelte.
Hier oben - es war, als stehe man auf einem Balkon - mußte er wieder an ein Theater denken. Dies hier war genauso theaterhaft wie sein erster Blick auf die breite, weiße Treppe des großen Hauses am frühen Nachmittag, als Zero den Porsche in der Auffahrt parkte. Zeros Familie war nicht auf den Stufen »zusammengekommen«. Es sah eher aus, als habe der Fotograf eines Hochglanzmagazins sie hier »arrangiert«, oder gar irgendein französischer oder italienischer Filmregisseur, der damit eine Aussage machen, dem Publikum einen Blick auf ihr Innenleben gewähren wollte. (Warum ein französischer oder italienischer Regisseur, das wußte er nicht, vielleicht dachte er sich, daß Franzosen oder Italiener sich des Mangels an Möglichkeiten bewußter waren oder ihn eher akzeptierten.) Nur wenige Schritte voneinander getrennt, waren die Bonds doch meilenweit voneinander entfernt. Die Mutter stand mit ineinander verschlungenen Händen da, der schwache Schein der Mittagssonne fiel auf ihr gestreiftes Kleid und umgab ihr helles, hellblondes Haar mit einem Heiligenschein. Mr. Bond stand auf der zweiten Stufe, Mrs. Bond auf der anderen Seite, und weiter oben war Zeros Schwester. Sie hatten vielleicht gewartet, waren auf ihren Plätzen erstarrt, auf daß der Regisseur sie auffordere, mit der Szene zu beginnen.
Einige verwirrende Sekunden lang geschah nichts. Dann trat auf einmal Zeros Vater mit breitem Lächeln und lauten Begrüßungsworten herunter, wobei er gleichzeitig den Arm um Zeros Schultern warf und Chad die Hand schüttelte.
Zero hatte sich geschickt aus der väterlichen Umschlingung gelöst, eine spielerische Bewegung zu seiner jüngeren Schwester Casey hin gemacht und die Anwesenheit seiner Mutter lediglich mit einem Kopfnicken und der Nennung ihres Namens quittiert:
»Eva.«
Jetzt stand sie am Fuße der geschwungenen Treppe und unterhielt sich mit dem Engländer - als ob sie sich gerade eben zufällig hier kennengelernt hätten -, ganz die perfekte Gastgeberin, die mit einem ihrer Gäste Smalltalk machte. Ihr graues Satinabendkleid fiel von den dünnen Trägern glatt und gerade bis zu den Knöcheln hinab; ihr silbrigblondes Haar -eine messerscharfe Linie vom Nacken bis hinab zum Kinn -schimmerte so metallisch wie Zeros Porsche-Feuerzeug. Sie stand vollkommen bewegungslos da. Sogar die Tulpenform des Champagnerglases wirkte wie eine Verlängerung ihrer Hand. Sie war eine schöne, elegante Frau, die mit ihrer Energie hauszuhalten schien. Als Zero sie einander vorgestellt hatte, waren ihre spitzzulaufenden Finger in lautloser Begrüßung in seine Hand geglitten. Kein Knacken, keine Unbeholfenheit; nur eine kühle Pose auf der breiten Treppe.
Könnte er sich nur zurückziehen, wieder die Treppe hinaufgehen und dann auf anderem Wege wieder herunterkommen, doch jetzt hatte sie ihn gesehen. Sie sah ihm kühl in die Augen. Dann blickte der Mann auf und lächelte unbarmherzig.
Chad stieg weiter die Treppe hinab, lächelte nicht, als er an ihnen vorbeikam, und blieb stehen, als er den Mann sagen hörte: »Komm mal her, Sportsfreund - würd mich gern mal mit dir unterhalten.«
»Sportsfreund«? Der Kerl hatte vielleicht Nerven.
Chad drehte sich um und sah, daß der Brite noch immer lächelte; ein Meisterlächler, sicher ein richtiges Arschloch, dachte sich Chad. Er erwiderte das Lächeln nicht.
Mrs. Bonds »Begleiter« streckte Chad die Hand entgegen und sagte: »Ich bin Maurice Brett. Und Sie sind Chad. Ach, kommen Sie schon. Schlagen Sie ein.«
Vielleicht war es ein Reflex auf die ausgestreckte Hand; Chad reichte ihm die Hand, und als er sie zurückzog, sah er die Geldscheine.
Darauf Maurice Brett: »›Geld‹. Das ist die Parole.« Und das teuflische schiefe Lächeln klebte ihm im Gesicht.
Drei Scheine. Chad starrte sie an. Dreihundert Dollar.
Eva Bond sah Maurice an. Das Blut schoß ihr derart heftig ins Gesicht, daß es ein Sonnenuntergangserröten über den ganzen Ausschnitt des silbrigen Kleides malte. Offensichtlich fand sie nicht, daß Geld »die Parole« war, daß es ein immer wirksamer Balsam für ein
Weitere Kostenlose Bücher