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Was am See geschah

Was am See geschah

Titel: Was am See geschah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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setzte. Der Vater tat es hundertprozentig nicht. Offensichtlich betete er sie an. Aber das schien nicht auf Gegenseitigkeit zu beruhen. Casey bevorzugte ihre unerreichbare Mutter. Vielleicht waren die Menschen so: der Mensch am anderen Seeufer, der, der so weit weg war, daß man ihn nur rufen konnte, würde schließlich derjenige sein, zu dem man - von tödlichem Irrtum verblendet - hinüberschwimmen würde.
    Chad erreichte das alte Bootshaus am Rande dieses Sees und ein daraus hervorstehendes Dock, dessen halbverfaulte Planken unter seinen Füßen nachgaben. Im Bootshaus befanden sich zwei Ruderboote, die aussahen, als habe sich seit Jahren niemand um sie gekümmert. Sie schaukelten sanft im Wasser. Die Hütte roch modrig, unbenutzt. Die Farbe blätterte von den Booten, und eines der Ruder war zerbrochen. Er saß auf einer Holzbank, zündete sich eine Zigarette an und lehnte sich zurück an die feuchte Wand.
    Er dachte über das Bootshaus nach - fragte sich, warum es nicht benutzt wurde, warum die Bonds nicht irgendein Rennboot oder einen Katamaran hier liegen hatten. Und hatte Zero nicht mit völlig unbewegter Miene etwas von einem »Yacht-Makler« gesagt?
    Das Wasser leckte an den Planken, und die Boote hüpften auf den Wellen, die ein anderes Boot aufrührte, das vorbeiraste nach Nirgendwo.
    Wußte William Bond, daß dieser Blödmann seine Frau vögelte?
    Ein Gedicht fiel ihm wieder ein: Ich steckte den Vater in sein kleines Gewand...
    Er stützte den Kopf in die Hände und versuchte sich zu entsinnen, was danach kam. Fragte ihn, wohin das strömende Wasser fließt.
    Er konnte sich nicht an die nächsten Zeilen erinnern und stand ungeduldig auf, stieß die Hände in die Taschen und starrte hinunter auf die kleinen Boote. Hinab zur See in Schiffen, setzt die Segel! In dem Gedicht war der Sohn der Vater. Er zog seinen Vater an und nicht sein Vater ihn. Aber am Ende bricht die Phantasie zusammen, und die Rollen werden wieder vertauscht. Chad wünschte, er könnte sich an die anderen Verse erinnern.
    Das Wasser schlug klatschend gegen die Boote. Chad sah eine Weile zu und kletterte dann, an den Planken Halt suchend, in eines der Ruderboote hinab. Sogar jetzt, wo es sicher vertäut im Bootshaus lag, vermittelte es ihm ein unsicheres Gefühl, wie ein Ding, das sich von der kleinsten Welle oder der schwächsten Brise davontragen ließ. Er zündete sich eine Zigarette an, stützte die Ellbogen auf die Knie, rauchte und wiegte sich im sanften, rhythmischen Schaukeln des Boots.
    Schritte kamen über den Kies herab. Er drehte sich um und wußte schon aufgrund des weißen Seidenschals, daß es Zero war. Dann näherte sich das Geräusch laufender Füße, und der Mond glitt unter seiner Wolkenhülle hervor und schien auf Caseys bleiches Gesicht, während sie hinter Zero den Pfad hinunterrannte und die langen, plissierten Ärmel hinter ihr herflogen.
    »Du langweilst dich. Nicht wahr?« Zero sagte das, als sei Langeweile eine Spezialität von Belle Harbor. Er stieg ins Boot und rief Casey zu, sie solle sich beeilen. Als auch sie hineingeklettert war, zog Zero die Ruder aus den Dollen.
    »Was, zum Teufel, machst du da? Du willst doch diesen Kahn nicht auf den See rausrudern, oder?« Chad blickte wild um sich.
    »Nein. Hab mir gedacht, ich mach damit eine Spritztour auf der Autobahn.« Er war kein Ruderer; er drehte das Boot so heftig, daß es mit einem dumpfen Schlag gegen das Dock krachte.
    Casey hatte die Ellbogen auf die Knie gestützt und saß bloß da. »Niemand kann uns finden«, sagte sie befriedigt.
    »Mir steht das Wasser jetzt schon bis zu den Knöcheln«, sagte Chad.
    Unablässig ruderte Zero weiter. »Du kannst doch schwimmen.«
    Chad saß da und sehnte seine Mutter herbei. Warum? Hätte sie vielleicht Schwimmwesten parat?
    Warum sie die Mitte des Sees ansteuerten, war ihm ein Rätsel. Zero hatte weder seinen weißen Schal noch seine Smokingjacke abgelegt, ja nicht einmal seine Krawatte gelockert, so als sei er auf einmal in Eile und müsse das Weite suchen.
    Zero ließ ein Ruder los, zog ein silbernes Fläschchen hervor und warf es Chad zu.
    Chad nahm einen Schluck daraus und sagte: »Ich dachte, ihr hättet eine Yacht. Du hast gesagt, ihr habt eine Yacht.«
    »Haben wir auch. Sie ist irgendwo hier draußen«, sagte er gelangweilt.
    »Du redest, als ginge es um verlegte Manschettenknöpfe.«
    Hinter ihm summte Casey »Bye, bye Blackbird«. Sie waren etwa hundert Meter vom Dock entfernt, als Zero schließlich die

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