Was am See geschah
Nichts würde sich sein Vater mehr wünschen als einen Notruf von Chad, damit er für den Sohn die Kastanien aus dem Feuer holen, als sein Retter auftreten und ihm dabei gleich noch väterliche Ratschläge übers Leihen und Borgen und das Wesen der Ehrlichkeit geben konnte. Oder noch schlimmer: damit er durch diesen kleinen Betrug an Maud Chads Kumpel oder Komplize wurde - wobei diese Komplizenschaft später auf jeden Fall auch Velda einschließen sollte.
Er konnte ihn förmlich hören: Der Junge hat offensichtlich diese letzte Null einfach ›vergessen‹ - ist das nicht köstlich, Vel, ist das nicht zum Schreien. Chad sah sie vor sich, bei einem ihrer kleinen Mitternachtssnacks mit Champagner und Austern, sie sprudelten wie der Sekt, weil der Kleine seine Mutter reingelegt hatte.
Er nahm den Hörer und wählte die Vermittlung. Er sagte ihr, er müsse ein R-Gespräch führen; nein, er habe keine Telefonkarte.
Sie ließ es acht, neun, zwölf Male klingeln, ehe sie sich wieder meldete und ihm sagte, daß der Teilnehmer nicht antworte.
Er legte auf.
Hatte er nicht schon vorher gewußt, daß die Teilnehmerin nicht antworten würde? Er wußte, daß sie unten am Ende des Piers saß und das Haus am anderen Ufer beobachtete.
Wenigstens hab ich’s versucht, dachte er und zündete sich eine Zigarette an.
Lügner.
Ohne daß er es mitbekommen hatte, war Bethanne aufgewacht. Sie hatte sich vom Bett erhoben und schlüpfte, noch etwas wacklig auf den Beinen, in ihr französisches Seidenhöschen. Ihre dünne, braune Hand umklammerte den Pfosten des Himmelbetts. Den Rock hatte sie hochgezerrt, ein Bein steckte schon drinnen, und es sah aus, als ob die linke und die rechte Seite ihres Körpers nicht recht zusammenpaßten. Der goldene Würfel baumelte von ihrem Arm herab, seine Kette hing in der Ellbogenbeuge und schaukelte - während sie immer wieder vergeblich versuchte, mit dem anderen Fuß ins Höschen hineinzusteigen - hin und her.
Zum erstenmal, seit sie das Zimmer betreten hatten, hatte er Lust, nach ihr zu greifen und sie zu sich aufs Bett herunterzuziehen. Denn jetzt, wo sie sich ein wenig wirr aufs An- statt aufs Ausziehen konzentrierte, hatte sie ihre Rolle vergessen. Was für eine intensive Wirkung sie hatte!
Aber er tat es nicht; dann hätte das Ganze von vorne angefangen, hätte zuviel Zeit gekostet - aber warum er die nicht hatte, wußte er nicht.
Bethanne stolperte fluchend über irgendwelche Pelze (»Scheiß-Hermelin«, »gottverdammte, beschissene Nerze«), die ihren Absätzen in die Quere gekommen waren - sie murmelte Worte und verteilte Tritte, als befänden die Pelze sich noch immer auf dem Rücken der geschlachteten Tiere.
Chad lag reglos auf dem Bett und sagte sich, daß er wieder runtergehen mußte. Die Party gefiel ihm nicht, er mochte keine großen Gesellschaften, und da Zero der einzige war, den er wirklich kannte, fühlte er sich befangen.
Anscheinend war er eingedöst. Als nächstes bemerkte er, daß jemand die Tür des dunklen Zimmers geöffnet und einen weiteren Mantel auf den Haufen geworfen hatte. Wenn er die Mäntel nicht wegbrachte, würden die Frauen sie bis zum Morgen weiter hier anhäufen.
Ein halbes Dutzend Pelzmäntel. Glattes Satinfutter, weicher Nerz und Zobel. Und der weiße: War es möglich, daß eine Frau das Fell eines Schneeleoparden trug?
Warum bist du so selbstgerecht? fragte er sich, als er die Diele hinunter zu einem Zimmer ging, in dem er das Dienstmädchen Mäntel hatte ablegen sehen. Die Tür stand einen Spalt offen, und er trat mit seinem Bündel ein. Er blieb abrupt stehen.
Vor dem Fenster stand - vom Mondlicht, dem einzigen Licht in dem ansonsten dunklen Zimmer, übergossen -, bis zur Taille entblößt, Eva Bond.
Der Engländer saß vollständig bekleidet auf der Bettkante. Chad hörte, wie er den Atem einsog, spürte seine Verärgerung über die Störung. Chad wollte nicht von seinem Kleiderstapel auf schauen; wollte nur mit gesenktem Kopf und niedergeschlagenem Blick den Raum verlassen.
Er wich zurück und schloß die Tür hinter den Flüchen des Briten.
»Hab mich im Zimmer geirrt.«
Unten waren etwa hundert weitere Fremde. Die Bewegung und die Hitze der Körper, das Klingen und Klirren der Gläser und Flaschen... wie viele Champagnerkisten hatte er in der Küche gesehen? Wo kamen die Leute alle her?
Am Nachmittag hatte Zeros Wagen nach den Vororten von Belle Harbor kein weiteres Haus mehr passiert, und Belle Harbor lag fünf Meilen von hier entfernt.
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