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Was am See geschah

Was am See geschah

Titel: Was am See geschah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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Stück sorgfältig ausgewählten Möbelstücke nicht den Stempel ihres Besitzers trugen.
    Das Zimmer war nicht mit dem Trödelkram vollgestopft, den man in den meisten Zimmern der Stadt fand, schnell und auf einmal in dem einen oder anderen dunklen Geschäft erstanden, dessen mürrischer Besitzer es nie der Mühe oder des Aufwands für wert befand, eine kaputte Sprungfeder zu reparieren oder eine Fläche zu polieren, und dessen Lebensunterhalt vom Kommen und Gehen, der Ankunft und der Abreise der Studenten abhing. Chad war mit Zero in mehreren dieser Läden gewesen und hatte gespürt, wie er es hassen würde, wenn sein Lebensunterhalt so untrennbar mit der Flüchtigkeit und Vergänglichkeit der Dinge verknüpft wäre.
    Zero jedoch kaufte keinen Plunder. Er hatte ein unglaubliches Talent, zwischen kaputten, beinlosen, aufgestapelten Teilen echte Antiquitäten aufzuspüren, deren Wert den Besitzer kaltzulassen schien. So hatte Zero die intarsienverzierte Sheraton-Anrichte erworben, über der ein schöner Spiegel aus facettiertem Glas hing; den Rosenholzsekretär; den elisabethanischen Stuhl mit der hohen gerippten Lehne und den seltsamen wasserspeierähnlichen Blätterknaufen aus einem Holz, so dunkel, daß es kohlschwarz wirkte.
    Chad legte seinen Blick wie eine Staubschicht nacheinander auf jedes der etwa zehn Stücke und fand, daß Zeros Zimmer doch sehr stark einem kleinen Museum ähnelte mit den Möbeln, die schön oder bizarr, auf jeden Fall aber einzigartig waren. Und doch verriet das Zimmer in seiner Einzigartigkeit weniger über seinen Bewohner als ein Hotelzimmer, wo ein Gast vielleicht ein gerahmtes Bild auf eine Kommode stellen würde. Zero erschien ihm wie ein solcher Hotelgast ohne Bild oder ein Besucher, der gekommen und gegangen war und sich geweigert hatte, seine Visitenkarte dazulassen.
    Vielleicht lag es an der Dunkelheit, oder vielleicht wollte Chad es auch nicht sehen; jedenfalls fiel ihm der weiße Verband erst auf, nachdem er sich im Zimmer umgeschaut hatte. Der Ärmel des Kaschmirpullovers war durch Zeros Bewegung, als er die Hand zum Rauchen hob, hochgerutscht, und der Verband leuchtete fast wie eine kleine weiße Flagge vor dunklem Wasser.
    Chads Kehle war rauh, als sei er gegen eine eisige Strömung angeschwommen. Es fiel ihm schwer, die Worte hervorzupressen. »Was hast du denn da am Handgelenk?«
    »Hmmh?« sagte Zero träumerisch. Der Blick, den er Chad zuwarf, war eher nach innen gerichtet.
    »Dein Handgelenk. Was ist passiert?«
    Zero sah an seinem Arm hinunter. »Hab mich verbrannt.« Sein Lächeln kam ein wenig zögernd.
    Die beiden saßen am Tisch vor dem Fenster; die Schneeschicht auf dem Fenstersims wurde immer dicker, sie umrandete die Bäume und bildete auf den Autodächern Hügel.
    Die Auffahrt glitzerte im Lichtkegel der Straßenlaterne, und Chad sagte: »Erinnerst du dich an Schattenland?« »Schattenland« war eine Art Codename für jenen Winter, als Studenten und Dozenten unmittelbar vor den Weihnachtsferien vom Schnee eingeschlossen waren, der so hoch lag, daß er den größten Teil der kleinen Stadt hinter Türen und Fenster verbannte. Chad und Zero hatten gerade aufbrechen wollen, als ihr Flug abgesagt wurde, und sie wären sowieso nicht nach Chicago gekommen, weil Zeros Porsche unter einer Schneewolke begraben war, einem weißen Hügel in einer ganzen Reihe von weißen Hügeln entlang der Bordsteinkante.
    Komischerweise war keiner von beiden enttäuscht. Sie sahen ihr weißes Gefängnis als eine Chance und schafften es gerade noch zum Lebensmittelladen und zum Spirituosengeschäft, ehe alle zumachten.
    Als sie am Schreibwarengeschäft vorbeikamen, waren Zero ein paar Faschingshüte im Schaufenster aufgefallen, und er bestand darauf, die Champagnerkiste abzustellen und hineinzugehen, um die Hüte zu kaufen.
    Und so verbrachten sie dann fünf Tage, an denen sie nur Dom Perignon tranken und hebräische Nationalsalami-Sandwiches und Kaviar aßen und von Zeros düsterem Schattenzimmer aus zusahen, wie draußen die Schneepflüge schwerfällig durch die Straßen krochen.
    Fünf Tage lang trugen sie ihre Faschingshüte. Sie dachten sich dazu passende Figuren aus. Sie hatten acht Hüte, also vier Rollen für jeden. Zero saß dann etwa auf dem elisabethanischen Stuhl, trug die windige Goldkrone und deklamierte Verse aus König Lear; oder Chad setzte den Froschhut auf und machte sich auf die Suche nach dem Zauberer; oder aber Zero weinte unter der hohen blauen Spitzhaube, wenn er

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