Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Was am See geschah

Was am See geschah

Titel: Was am See geschah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
Vom Netzwerk:
die Rolle der Prinzessin vom Schattenland mimte. Es war seine Lieblingsrolle und ihr Palast sein liebster Aufenthalt. Die Prinzessin war aufgewacht und mußte feststellen, daß König und Königin und alle Hofdamen fort waren, verschwunden, bis sie in den huschenden Schatten an den kalten Wänden König, Königin, Minister und Diener erkannte. Es war die Aufgabe der Prinzessin, die Schatten in Menschen zu verwandeln.
    Es gab einen Elefantenhut und einen Löwenhut; es gab einen Hut mit einem Bild von Elvis Presley und seiner Gitarre; einen schwarzen Spitzhut mit Silbersternen und einen mit einem Studebaker. (Den fand Zero einfach umwerfend; den Studebaker spielte er mit Begeisterung.) Sie waren zu dem Schluß gekommen, daß es sich bei den Hüten um Restbestände handelte, übriggeblieben von irgendwelchen Party-Sets für Feste, die ein bestimmtes Motto hatten, und daß die bebrillte Frau, die das Schreibwarengeschäft betrieb (und nicht danach aussah, als wäre sie in ihrem Leben schon mal auf einer Party gewesen), sie billig im Paket verkauft hatte. Wahrscheinlich waren es ursprünglich acht Hüte für Elvis-Fans gewesen; oder ein Satz von Tierhüten für eine Kinderparty; oder sogar Hüte für einen Autoclub.
    In den Geschichten, die Chad und Zero sich ausdachten, mußte jeder an der Handlung des anderen teilnehmen und den jeweils passenden Hut tragen. Zero konnte Chads Handlungsstrang fortführen, und Chad durfte in Zeros Plot Elemente einfügen. Einer sollte den anderen herausfordern und anregen, aber das funktionierte nie, denn das Geschehen wurde einfach immer phantastischer. Der Löwe reparierte platte Reifen; der Frosch belegte für den Zauberer Salamisandwiches mit Kaviar. Die einzige Aufgabe, die es zu meistern galt, war es, schnell den Hut zu wechseln, denn wenn der Frosch unter dem Elvis-Hut hervorquakte, mußte man einen Dollar bezahlen. Oder wenn man einen Moment lang Studebaker gewesen war und sich dann im Nu in Elvis verwandelte, mußte der andere seine Art, sich mit einem zu unterhalten, ändern (denn man redete ja nicht mit Elvis wie mit einem Studebaker) oder aber einen Dollar bezahlen.
    Zero mußte nie einen Dollar bezahlen, denn er konnte so schnell in eine Rolle hinein- und wieder herausschlüpfen, wie Wasser durchs Schilf oder über Kiesel fließt, und kein Hutwechsel von Chad war so schwierig, als daß man sich nicht durch ihn hindurch- oder an ihm vorbeimogeln konnte. Aber seine Lieblingsrolle war stets die Prinzessin vom Schattenland.
    An dem Tag, an dem Chad und Zero nach Hause fahren konnten, mußten alle Figuren gemeinsam in einer Geschichte Vorkommen, soweit Chad und Zero dies unter hastigem Auf- und Absetzen von Hüten, Verwandlungen in die eine oder andere Person und Erzählungen von ihren Leiden und Abenteuern gelang. Zero sagte, sie würden nun alle gemeinsam im Schattenland leben, Elvis und die Prinzessin, Lear und der Frosch, der Zauberer und der Elefant, der Studebaker und der Löwe.
    Am Ende sollte jeder einzelne das Dilemma der Prinzessin lösen; das heißt, einen Weg finden, um die Schatten wieder in König und Königin und Diener zu verwandeln. Doch an jenem letzten Tag erwachten sie bei so hellem und grellem Sonnenlicht aus ihrem Champagnerschlaf, daß sie sich vom Fenster wegdrehen mußten. Draußen blitzte der Porsche in seiner ganzen geranienroten Pracht, und die Leute gingen mit bunten Päckchen auf der Straße auf und ab, von der die letzte Schneeschicht schon fast geschmolzen war.
    Um nach Chicago zu kommen und ihren Flug noch zu erreichen, mußten sie sich daher beeilen, sich duschen und rasieren und anziehen und die Koffer in den Wagen schmeißen.
    Niemals brachen sie den Zauberbann; nie lösten sie das Rätsel; der Palast blieb voller Schatten, und die Prinzessin irrte seufzend zwischen ihnen umher.
    So sah Chad sie zumindest jetzt, als er wieder in Zeros Zimmer saß und dem fallenden Schnee zuschaute. Sah, wie sie die Säulenhallen durchschritt, im Schatten versunken. Er betrachtete Zero, der den gemächlichen Fall des Märzschnees betrachtete, und nahm an, daß der die Frage nicht gehört hatte.
    »Erinnerst du dich an Schattenland?«
    Und dann dachte er sich, daß Zero keine Lust hatte zu antworten, denn das eisige Schweigen hielt an.
    Zuletzt wandte sich Zero vom Fenster ab und sagte: »Dieser verdammte Frosch hat nie Fahren gelernt - er hat Elvis plattgewalzt und den Studebaker zu Schrott gefahren.«
    »Worüber amüsieren Sie sich denn so?« fragte Eva Bond mit

Weitere Kostenlose Bücher