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Was am See geschah

Was am See geschah

Titel: Was am See geschah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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einem Lächeln.
    Das düstere Zimmer in Chads Gedanken wurde von diesem seltsam beleuchteten Raum verdrängt, und er merkte, daß er einige Minuten dagesessen haben mußte, ohne zu antworten.
    Chad schüttelte rasch den Kopf und versuchte, sich zu erinnern, was Eva Bond eben gesagt hatte. Er erinnerte sich. »Die Polizei?«
    »Der Polizist, der mich zurückrief, sagte, es sei alles in Ordnung. Billy sähe blaß aus, sagte er, und müde, aber er sei angezogen und die Wohnung aufgeräumt. ›Keine Orgie, Mrs. Bond.‹ Der Polizist lachte ein bißchen. Er war sehr nett - sehr. ›Ihre Mutter hat angerufen und will, daß Sie sie zurückrufen, hab ich ihm erzählt.‹ Wehmütig betrachtete sie Chad. »Das ist doch ein herrlicher Grund für die Polizei, mal bei einem anzuklopfen. ›Ihre Mutter hat angerufen.‹« Sie seufzte. Dann sagte sie zu ihm: »Ich frag mich, warum er nie den Hörer abgenommen hat.‹
    Ging es also darum? Sollte er der Bote sein, der die schlimmen Nachrichten überbringt, der die traurige Geschichte von Zerstörung, Elend und Tod erzählt und dann für seine Mühe am Galgen endet? Aus Gründen, die er selbst nicht begriff, wurde er zornig. »Warum fragen Sie Zero nicht selber?«
    Sie stand auf, wandte sich zur Balkontür, drehte sich wieder um. »Oh, Billy würde mir das nicht erzählen.«
    »Warum nicht, frag ich mich?«
    Sie schwieg. »Ich höre da diesen selbstgerechten Zorn in Ihrer Stimme. Er kommt wohl von der Vorstellung eines Zwanzigjährigen darüber, was Eltern sein und tun sollen.« Sie lächelte. »Ich finde, die meisten Kinder sind da naiv und ziemlich moralinsauer.«
    »Sind wir das wirklich?« Chad ärgerte sich über die ungerechte Beurteilung, die durch ihr kontrolliertes kleines Lächeln noch schlimmer wurde. Er mußte es ihr zurückgeben. Mit beherrschter Stimme sagte er: »Finden Sie wirklich, daß wir einfach nur - undankbar sind?« Er hatte seine Stimme nicht mehr unter Kontrolle, denn unter ihrem kühl starrenden Blick fühlte er sich wie im Rampenlicht. »Wissen Sie eigentlich, daß Sie uns verdammte Schuldgefühle machen können? Ich frag mich: warum hat Zero Ihnen nicht gesagt, wo er die zwei Wochen lang war? Und warum mußte er heute abend mit Casey diese verrückte Schau abziehen?«
    Sie sah ihm ins Gesicht. »Ich fand sie ziemlich gut - verrückt vielleicht, ein bißchen wie das Pokerspiel seines Vaters, aber brillant auf ihre Art. Billy steht gerne im Mittelpunkt.«
    »Steht gern im Mittelpunkt? Sehen Sie denn nicht, was dahintersteckt?«
    Sie gab keine direkte Antwort darauf, sondern sagte: »Wir hatten alle mal Eltern.« Sie begann, ihren Mantel zuzuknöpfen, wobei sie sich wieder zum Fenster umdrehte. »Wir sind, wie der Dichter sagt, alle mal selber versaut worden.« Sie hielt inne. »Ich hab’s schon lange aufgegeben, zu versuchen, den Lauf der Dinge zu verändern. Die Dinge passieren einfach. Man kann weder ihre Richtung verändern noch sie abwenden; so wie man etwa dem Teufel ein Kreuz entgegenstreckt.« Sie hatte die Hand auf der Klinke der Terrassentür und lächelte. »Sie glauben tatsächlich, daß ich ihn nicht liebe, nicht wahr?«
    Als sie den Pfad erreicht hatte, drehte sie sich um und winkte zurück.
    Er horchte auf das scharrende Geräusch ihrer Absätze im Kies. Dann ging er hinüber zum Schreibtisch und schaute auf das große lederne Buch hinunter, das sie mit den Fingern berührt hatte. Es war ein Fotoalbum von der Art, wie er es vor Jahren gesehen und sich dabei über die Geduld desjenigen gewundert hatte, der es anlegte. Die Ecken der Schnappschüsse steckten in kleinen schwarzen Dreiecken.
    Die meisten waren von Zero; manche von Zero und Casey; etwa zwei Dutzend von Zero und seiner Mutter; weniger vom Vater, und noch weniger von der ganzen Familie. Und sie waren mit vielen verschiedenen Kameras aufgenommen worden: Polaroid, fünfunddreißig Millimeter, einer alten Instamatic.
    Das Album war abgegriffen, einige der Seiten hatten sich von den Metallringen gelöst. Es war über die Jahre häufig betrachtet worden. Als er es zuschlagen wollte, fielen ein paar lose Bilder aus dem hinteren Teil zu Boden. Chad schaute hinunter und sah Eva Bond, die in ihrem Fliegeranzug wie ein frecher kleiner Junge aussah. Sie lehnte an der einmotorigen Maschine und trug Lederjacke, Helm und einen weißen Schal. Er schien aus weißer Seide zu sein. Einen Augenblick starrte er nur blind auf die Gestalt vor dem Teppichhintergrund. Als er die Hand ausstreckte, um die

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