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Was am See geschah

Was am See geschah

Titel: Was am See geschah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Martha Grimes
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gesagt, wie dieses Raumschiff in »Begegnung der dritten Art«. Sam hatte ihr gesagt, daß er dies für einen merkwürdigen Vergleich halte.
    Tja, hatte sie gesagt, die Leute schwebten davon, kamen zurück, flogen wieder davon, so daß man fast den Eindruck bekam, daß es diese anderen Welten, in die sie gingen, diese Orte, von denen wir keinerlei Kenntnis hatten, tatsächlich gab. (Es endete immer bei diesem »wir«; Sam sollte wohl genauso wenig über diese Dinge wissen wie Maud selber, hatte er festgestellt.) Da gab es diesen Ort, an dem Chads Freund lebte - Belle Harbor. Maud verlegte Belle Harbor in ihren Phantasien auf einen anderen Planeten. Sam hatte sie daran erinnert, daß es fast so groß wie La Porte war und nur gut hundertfünfzig Meilen weiter oben an der Küste lag. Wie La Porte war es landeinwärts gelegen. Aber es war viel, viel reicher.
    Er blickte auf die Leiche von Elizabeth Hooper hinab und dachte an das Schicksal. Sam war selten fatalistisch und hatte dem Schicksal nie so große Bedeutung zugemessen wie in dieser Nacht. Warum hatte sie hier in La Porte Halt gemacht?
    Elizabeth Hooper hätte doch ohne weiteres im reichen, schicken Belle Harbor übernachten können. Seine großen, mit Teichen übersäten Grundstücke waren voll großer blendendweißer Häuser, Häfen, Anlegestellen für die Yachten in der Bucht - ein Reiche-Leute-Paradies. Dr. Hooper wirkte, als sei sie reich, Dr. Hooper hatte Format.
    Dr. Hooper war tot.
    Gerade waren etwa zwanzig Männer in den Wald ausgeschwärmt. Bisher hatte keiner etwas entdeckt. Sam stand da und betrachtete den Körper, das Gesicht, auf dem keinerlei Spuren der bestialischen Attacke zu sehen waren. Er hatte immer gefunden, daß sie eine wirklich schöne, sympathische Frau war, auch wenn sie nie ein Gespräch begann, sondern nur einmal im Monat, pünktlich wie ein Uhrwerk, ins Café kam. Er hörte das weiche Plopp eines Kiefernzapfens, dachte an ihren Sohn. Mein Gott, wie würde der Junge damit fertig werden?
    Konnte es Schlimmeres geben als den Tod der eigenen Mutter? Mütter durften eigentlich nicht sterben. Er dachte daran, wie seine eigene Mutter sich eines Nachts im Schlaf davongestohlen hatte. Er selbst hatte sie gefunden, und er fuhr fort, mit der Frau im Bett zu reden, die Rolläden hochzuziehen und ihr zu erzählen, es sei ein herrlicher Oktobertag, zu verleugnen, zu verleugnen und noch einmal zu verleugnen. Als seine Schwester ins Zimmer kam, redete Sam noch immer und stellte Fragen. »Stimmt’s, Mom?« Solche Sachen. Seine Schwester war zehn Jahre älter und stark, aber sie mußte all ihre Kraft zusammennehmen, um den schreienden siebenjährigen Bruder aus dem Zimmer zu zerren.
    Die Männer hatten den Körper auf die Bahre gelegt und trugen Elizabeth Hooper fort. Es ergab einfach keinen Sinn; es war keine Ordnung darin. Vielleicht, dachte er, als er die Bahre im Wald verschwinden sah, konnte er Sedgewick dazu überreden, den unvermeidlichen Anruf beim Exmann oder (Gott steh uns bei) dem Sohn aufzuschieben. Er könnte hinfahren. Vielleicht konnte er Maud überreden mitzukommen; wenn sich jemand in die Gedanken eines Kindes einfühlen konnte, dann Maud.
    Sam fragte sich, ob er Chad anrufen sollte. Maud würde sich über den Mord an Elizabeth Hooper furchtbar aufregen. Elizabeth Hooper war neben Sam und neben Chad vielleicht der liebste Mensch für Maud. Sam war unverhältnismäßig ärgerlich, weil Chad gerade jetzt nicht da war, als ob Chads Anwesenheit den entsetzlichen Schmerz von Elizabeth Hoopers Sohn irgendwie hätte aufheben können. Denn Sam war sich sicher, daß der Junge seine Mutter, die ihn verlassen hatte, letzten Endes mehr liebte als den Vater, der bei ihm geblieben war.
    Und er fragte sich, wie schon so oft, wie es wohl wäre, Vater oder Mutter zu sein. Diese Art von Liebe war sehr seltsam. Es war fast ein bißchen so, als würde man, je mehr man liebte, um so weniger gebraucht. Es war wie ein Urteil.
    »Nanu, ich muß schon sagen. Hab nie einen erwachsenen Mann heulen sehn.«
    Der Sheriff war wieder da. Sams Kragen fühlte sich feucht an, und als er sich ins Gesicht faßte, war auch seine Hand naß.
    »Sogar Sie, Sedgewick - sogar Sie müssen eine Mutter gehabt haben. Verpissen Sie sich!«
    Sam drehte sich um und ging zu seinem Streifenwagen.

2
    E r hatte das blaue Kleid sorgfältig gewaschen und es schon beinahe - ebenso sorgfältig - fertig gebügelt. Er war es nicht gewöhnt zu bügeln, und es wäre ein Sakrileg, wenn er einen

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