Was am See geschah
»Vail« schmerzte ihr in den Ohren. Und was viel schlimmer war, sie hatte ein ganz flaues Gefühl im Magen: Chad würde den letzten Teil seiner Ferien mit Ned und Velda verbringen.
»Warum kannst du dich nicht während der ersten Ferienwoche weihnachtsmäßig mit ihnen amüsieren und dann neujahrsmäßig mit mir einen draufmachen?«
»Um Gottes willen, Mom, hör auf, so zu reden. Ich hab’s dir doch gesagt: Wie soll das gehen, wenn sie in der zweiten Woche in Vail sind und nicht in der ersten?«
Natürlich sollte ihr das egal sein; war es aber nicht, und er wußte es. Zum Ende der Ferien hin war es immer schwerer, seine Abwesenheit zu ertragen, denn da hatte sie nichts, worauf sie sich freuen konnte. Nichts als Abwesenheit.
Maud erinnerte sich, daß sie in den Saal gestarrt hatte, auf die Speisenden dort, die Paare und Vierergruppen, die Frauen in Pastelltönen, denen das Licht des Feuers die Farbe entzogen hatte, so daß alle weißgekleidet schienen, weiße Trauergäste, die an einem weiteren von Mauds Totenbetten standen. Jeder Abschied ein Tod, und deswegen mußte sie verhandeln: noch ein paar Tage, bitte!
Das Paar am nächsten Tisch: wie der Mann seine Zigaretten anzündete, dann das schmale silberne Feuerzeug in die Tasche seiner Segeltuchhose gleiten ließ; diese Sommergäste taten alles mit flüssigen, klaren Bewegungen, wie Schwimmer, die, ohne eine Spur zu hinterlassen, ihre Bahn durchs Wasser zogen, oder Skifahrer, die die Berge hinabschossen, oder Tennisspieler, die über den Platz glitten und einander perfekte Bälle zuschlugen. Maud hörte mit ihrem geistigen Ohr Tennisbälle aufschlagen wie Kiefernzapfen im Schnee.
Und sie dachte: ihr Leben muß genauso weich sein, denn sie stanken nach Privilegien. Ihre Stimmen, ihr gedämpftes Lachen schienen in Mauds Richtung zu driften wie der Nebel, der sich über den See breitete.
Hatten die vier an jenem Tisch beim Fenster, dessen Scheiben mit reflektierten Lichtern bestirnt waren - hatten sie Kinder?
Ja, natürlich hatten sie welche, aber es waren saubere, dekorative Kinder, die man sich hielt, damit sie einem Freude machten, ähnlich wie die kleinen Boote, die auf dem Wasser vorbeiglitten oder gegen Abend irgendwo am Ufer anlegten. Maud konnte sich die Kinder vorstellen, wie sie nun schliefen, in ihren Träumen dahintrieben, sich im Rhythmus der Traumbilder schaukelnd hoben und senkten.
Und wenn sie sich scheiden ließen, so entstand da keine Zwangslage. Maud konnte sich durchaus vorstellen, daß diese Frau im hauchdünnen Pastellkleid daheim in New York - inzwischen von ihm getrennt - ihr eigenes Leben in ihrer riesigen, museumsartigen Wohnung in Manhattan führte, wo sie ein GANZ EIGENES LEBEN als Malerin oder vielleicht Lektorin bei irgendeinem literarischen Verlag hatte. Maud konnte sich vorstellen, wie dann der Sohn hereinschlurfte, im Kaschmirpullover und tiefbraun und sich in einen weichen Sessel plumpsen ließ, seine Mutter fröhlich begrüßte und sagte, daß er weihnachtsmäßig vielleicht was mit ein paar Freunden in Portofino vorhabe; und dann kommt die Tochter: »Daddy will, daß ich Weihnachten in die Hamptons komme. Klingt super...«
Und die Mutter, die Frau mit den hellen Haaren, die so vertieft ist in ihre Farben und Leinwände oder aber in ihren brillanten ersten Roman, oder in einen Autor, den sie entdeckt hat, hört das alles kaum, denn es spielt kaum eine Rolle, und denkt sich, ah, jetzt kann ich mich ja weihnachtsmäßig ganz auf Kyle einstellen, oder Robert. Welcher Liebhaber es eben wert ist, Weihnachten mit ihr zu verbringen.
Nein, diese schöne Malerin-Lektorin-Mutter-mit-Liebhabern - die brauchte keine Absprachen zu treffen. Aber bei Maud war es immer dasselbe: die kleinen Kompromisse, das ewige Verhandeln und Nachverhandeln.
Dann begann sie über das Geburtstagsessen selber nachzugrübeln: War es bloß ein Mittel, sie zu beschwichtigen und in Stimmung zu bringen, damit sie ihm wegen Vail keine Schwierigkeiten machte? Die Unsicherheit schmerzte.
»Ich muß ein bißchen Zeit mit ihnen verbringen, verdammt noch mal.«
»Dagegen hab ich auch nichts gesagt. Mir geht es nur darum, welchen Teil der Ferien du mit ihnen verbringst.«
Sie haßte sich selber, schämte sich, weil sie redete wie irgend so ein feilschender Perlen- und Seidenhändler auf einem Basar in Bagdad, der den Verkaufspreis immer um noch eine Rupie erhöhte, bloß ein bißchen mehr, ein kleines bißchen. Der Streit eskalierte nicht in der Lautstärke,
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