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Was aus den Menschen wurde: Meisterwerke der Science Fiction - Mit einem Vorwort von John J. Pierce (German Edition)

Was aus den Menschen wurde: Meisterwerke der Science Fiction - Mit einem Vorwort von John J. Pierce (German Edition)

Titel: Was aus den Menschen wurde: Meisterwerke der Science Fiction - Mit einem Vorwort von John J. Pierce (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cordwainer Smith
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dennoch war er nicht hier.
    Während wir hilflos dastanden, machte Timofeyev den ersten ernsthaften Vorschlag des Tages.
    »Würden Sie das Risiko eingehen und einen sekundären Telepathen einsetzen?«
    Grosbeck sah schockiert drein.
    Ich ließ mir den Gedanken durch den Kopf gehen. Sekundäre Telepathen besaßen einen schlechten Leumund, und man erwartete von ihnen, dass sie sich in den Krankenhäusern ihre telepathischen Kräfte nehmen ließen, wenn sich herausstellte, dass sie keine richtigen Telepathen waren und nicht über die Fähigkeit zum vollkommenen Gedankenaustausch verfügten.
    Nach dem Alten Gesetz konnten sie dem entgehen, und viele zogen das auch vor. Mit ihren gefährlichen halbtelepathischen Kräften verschrieben sie sich oft der Scharlatanerie und Betrügerei schlimmster Sorte, gaben vor, mit den Toten zu sprechen, trieben Neurotiker in Psychosen, heilten einige wenige kranke Menschen und verpfuschten für jeden Fall, den sie kurierten, zehn andere Fälle, deren Zustand sich verschlechterte, und vor allem störten sie die Ordnung der Gesellschaft.
    Doch da alles andere versagt hatte …

II
Der sekundäre Telepath
    Einen Tag später befanden wir uns wieder in Harkenings Krankenzimmer und hatten fast genau dieselben Plätze wie das letzte Mal eingenommen.
    Wir drei umringten die nackte Gestalt auf dem Boden.
    Doch es befand sich noch eine vierte Person bei uns, ein Mädchen.
    Timofeyev hatte sie aufgetrieben. Sie war Mitglied seiner Religionsgruppe, den Postsowjetischen Orthodoxen Östlichen Quäkern. Man erkannte sie daran, dass sie die Alte Englische Sprache benutzten.
    Timofeyev sah mich an.
    Ich nickte knapp.
    Er wandte sich an das Mädchen. »Kannst du ihm helfen, Schwester?«
    Das Kind war kaum älter als zwölf Jahre. Es war ein kleines Mädchen mit einem langen, schmalen Gesicht, einem weichen, lebhaften Mund, wachen, graugrünen Augen und einem lohfarbenen Haarschopf, der ihr bis zu den Schultern reichte. Sie besaß ausdrucksvolle Hände mit spitz zulaufenden Fingern. Sie zeigte keinerlei Reaktion beim Anblick des nackten Mannes, der in den Tiefen des Wahnsinns versunken war.
    Sie kniete sich neben Colonel Harkening und sprach mit sanfter Stimme direkt in sein Ohr hinein.
    »Kannst du mich hören, Bruder? Ich bin gekommen, um dir zu helfen. Ich bin deine Schwester Liana. Ich bin deine Schwester im Angesicht der Liebe Gottes. Ich bin deine Schwester aus dem Fleisch des Mannes. Ich bin deine Schwester unter dem Himmel. Ich bin deine Schwester, die gekommen ist, um dir zu helfen. Ich bin deine Schwester, Bruder. Ich bin deine Schwester. Wach ein wenig auf, damit ich dir helfen kann. Wach ein wenig auf, damit du die Worte deiner Schwester hörst. Wach ein wenig auf für die Liebe und die Hoffnung. Wach auf für die Liebe. Wach auf, damit die Liebe dich weiter wecken kann. Wach auf für die Menschheit. Wach auf, um zurückzukehren, um ins Reich der Menschen zurückzukehren. Das Reich der Menschen ist ein freundliches Reich. Die Freundschaft der Menschen ist ein freundliches Ding. Deine Freundin ist deine Schwester mit Namen Liana. Deine Freundin ist hier. Wach ein wenig auf, damit du die Worte deiner Freundin hören kannst …«
    Als sie weitersprach, bemerkte ich, dass sie eine sachte Bewegung mit ihrer linken Hand machte und uns bedeutete, das Zimmer zu verlassen.
    Ich nickte meinen beiden Kollegen zu und winkte ihnen, auf den Gang hinaus zu treten. Neben der Tür blieben wir stehen, so dass wir noch immer in das Zimmer sehen konnten.
    Liana fuhr mit ihrem endlosen Singsang fort.
    Grosbeck stand steif da und starrte sie an, als sei sie ein Eindringling in das ehrwürdige Gebiet der Medizin. Timofeyev versuchte sanft, gutmütig und vergeistigt dreinzuschauen; er vergaß es jedoch und wirkte stattdessen aufgeregt. Ich wurde sehr müde und begann mich zu fragen, wann ich wohl das Mädchen unterbrechen konnte. Ich hatte nicht den Eindruck, dass sie sehr viel erreichte.
    Sie selbst löste das Problem.
    Sie brach in Tränen aus.
    Sie redete weiter, während sie weinte, mit gebrochener, seufzender Stimme, und die Tränen rannen aus ihren Augen über ihre Wangen und tropften auf das Gesicht des Colonels, das sich genau unter ihrem Gesicht befand.
    Der Colonel hätte ebenso gut aus zu Porzellan gebranntem Beton bestehen können.
    Ich konnte seine Atemzüge verfolgen, aber die Pupillen seiner Augen bewegten sich nicht. Er war nicht lebendiger als in den vergangenen Wochen. Nicht mehr und auch nicht

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