Was aus den Menschen wurde: Meisterwerke der Science Fiction - Mit einem Vorwort von John J. Pierce (German Edition)
Informationen von Lady Panc Ashash erhalten. Da sie tot ist, hat sie keine Vorurteile gegen uns Untermenschen. Da sie nicht viel zu tun gehabt hatte, hat sie Milliarden von Wahrscheinlichkeiten durchgerechnet. Jeder von uns weiß, worauf die meisten Wahrscheinlichkeiten hinausliefen – auf plötzlichen Tod durch Krankheit oder Gas, oder vielleicht darauf, dass wir in großen Polizei-Ornithoptern in Schlachthäuser abtransportiert werden. Aber Lady Panc Ashash hat entdeckt, dass vielleicht einst ein Mensch mit einem Namen wie deinem kommen würde, ein menschliches Wesen mit einem alten Namen und nicht mit einem Nummer-Namen, und dass dieses Wesen den Jäger treffen und dass sie und der Jäger das Unterkind H’jeanne eine Botschaft lehren und dass diese Botschaft die Welten ändern würde. Alle hundert Jahre nennen wir ein Kind nach dem anderen H’jeanne. Nun bist du aufgetaucht. Vielleicht bist du die Verheißene. Auf mich machst du allerdings keinen sehr gescheiten Eindruck. Was kannst du besonders gut?«
»Ich bin eine Hexe«, erklärte Elaine.
Crawlie konnte ihre Überraschung nicht verbergen. »Eine Hexe?«
»Ja«, sagte Elaine, und es klang eher kleinlaut.
»Ich möchte keine sein. Ich habe meinen Stolz.« Crawlie wandte ihr Gesicht ab und ließ ihre Züge wieder zu einem Ausdruck ewiger Gekränktheit und Verachtung erstarren.
Charley-mein-Liebling flüsterte mit den Umstehenden, ohne darauf zu achten, ob Elaine seine Worte verstand oder nicht. »Das ist wundervoll, ganz wundervoll. Sie ist eine Hexe. Eine menschliche Hexe. Vielleicht ist der große Tag gekommen … Elaine«, wandte er sich demütig an sie, »würdest du uns bitte anschauen?«
Elaine folgte seiner Bitte. Als sie darüber nachdachte, wo sie sich befand, schien es ihr unvorstellbar, dass die leere alte untere Stadt Kalma dort draußen, hinter der Wand sein sollte und dass die geschäftige neue Stadt lediglich fünfunddreißig Meter über ihnen lag. Der Gang war eine Welt für sich. Er war eine Welt aus hässlichem Gelb und Braun, mit schummrigen alten Lampen und den Gerüchen von Menschen und Tieren, die wegen der unzureichenden Lüftung nahezu unerträglich waren. Baby-Baby, Crawlie, Mabel und Charley-mein-Liebling waren ein Teil dieser Welt. Sie waren real – aber sie waren draußen, draußen, jedenfalls aus Elaines Sicht.
»Lasst mich gehen«, bat sie. »Ich werde eines Tages wiederkommen.«
Charley-mein-Liebling, der unverkennbar der Führer war, sprach wie in Trance. »Du verstehst nicht, Elaine. Der einzige Weg, den du gehen kannst, ist der Weg in den Tod. Es gibt keine andere Richtung. Wir können nicht dein altes Selbst zu dieser Tür hinausgehen lassen, nicht wenn Lady Panc Ashash dich zu uns hineingestoßen hat. Entweder du gehst vorwärts, deinem Schicksal entgegen, das auch unser Schicksal ist, entweder du tust das und alles wird gut, damit du uns und wir dich lieben können – oder aber ich töte dich mit meinen eigenen Händen. Genau hier. Und jetzt. Ich kann dir zuvor noch eine neue saubere Tasse Wasser reichen. Aber das ist alles. Du hast keine große Wahl, menschliches Wesen Elaine. Was, glaubst du, würde geschehen, wenn du nach draußen gehen würdest?«
»Ich hoffe, nichts«, erwiderte Elaine.
»Nichts!«, schnaubte Mabel, und ihr Gesicht nahm wieder den ursprünglich entrüsteten Ausdruck an. »Die Polizei würde in ihren Ornithoptern angeflogen kommen …«
»Und sie würden in deinem Gehirn herumsuchen«, fügte ein großer bleicher Mann hinzu, der jetzt zum ersten Mal das Wort ergriff.
»Und sie würden alles über uns erfahren«, sagte Baby-Baby.
»Und wir«, sagte Crawlie von ihrem Stuhl aus, »wir würden alle binnen einer oder zwei Stunden sterben. Würde dir das etwas ausmachen, Ma’am und Elaine?«
»Und«, fügte Charley-mein-Liebling hinzu, »sie würden Lady Panc Ashash ausschalten, so dass selbst die Kopie dieser lieben toten Lady beseitigt wäre, und es gäbe dann überhaupt kein Erbarmen mehr für diese Welt.«
»Was ist ›Erbarmen‹?«, fragte Elaine.
»Mir ist klar, dass du das Wort nie zuvor gehört hast«, bemerkte Crawlie.
Baby-Baby trat dicht an Elaine heran, blickte zu ihr hoch und flüsterte durch die gelben Zähne hindurch: »Lass dir von ihnen keine Angst einjagen, Mädchen. Der Tod bedeutet nicht so viel, nicht einmal für euch Wahre Menschen mit euren vierhundert Jahren oder für uns Tiere, auf die das Schlachthaus an der Ecke wartet. Der Tod ist ein Wann , nicht ein Was .
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