Was bin ich wert
Rückzug an. Mir brummt der Schädel. Zu Hause greife ich erschöpft zu meiner Lieblingsentspannungsmethode, dem Sportteil meiner Tageszeitung. Diesmal klappt das aber nicht mit der meditativen Wirkung der Bundesligatabelle, weil ich mich mit meinem neuen Wissen einen Moment zu lange mit den Ablösesummen für Fußballprofis beschäftige. Denn die diskutierten Beträge sind ja schließlich auch »gängige und handelbare Bewertungen von Humankapital«, wie ich gleich in einem Fachbuch nachschlage. Dabei geht es nicht um das Recht am Spieler selbst, sondern um dessen Leistungskraft, die in Form einer Lizenz gehandelt wird. Die Ablösesummen sind also Investitionen in die Anschaffungskosten für das Humankapital eines Sportlers, mit dem wiederum Geld verdient werden soll. Aktueller Rekord sind die 93 Millionen Euro, die Real Madridim Sommer 2009 für den Portugiesen Cristiano Ronaldo an Manchester United zahlte. Davon, das ahne ich jetzt schon, bin ich ein gutes Stück entfernt.
20.
Die Probe aufs Exempel.
Rechnungen mit der Saarbrücker Formel.
Und die Frage, ob man Frauen und Kinder wirklich zuerst retten soll
Ein paar Tage später probiere ich es. Ich möchte meinen Wert mit der Saarbrücker Formel bestimmen. Doch die Formel überfordert – vorsichtig ausgedrückt – mein mathematisches Verständnis. Ich wende mich noch mal an Scholz und Stein. Trotz ihrer Bedenken gewähren sie mir Zugang zu einer Schulungssoftware »zur komplexitätsreduzierten Anwendung der Saarbrücker Formel«. Das finde ich großzügig.
Allerdings muß ich ein wenig tricksen, da die Formel, auf der die Software beruht, nun mal auf Belegschaften beziehungsweise Gruppen ausgelegt ist. Bei der Frage nach dem Namen des Unternehmens gebe ich meinen eigenen ein. Bei der Frage nach der Anzahl der Gruppenmitglieder »1«. Die umfangreiche Liste der einzelnen Berufe reicht von »Abgeordneter beziehungsweise Minister« bis zum »Zucker-, Süßwaren-, Speiseeishersteller«. Da es aber keinen »Journalisten« gibt, entscheide ich mich für »Publizist«. Dafür wird mir ein durchschnittliches Marktgehalt von 58.866,19 Euro zugeschrieben. Das ist etwa 20 Prozent mehr, als ich in der Regel verdiene. Nun gut, nehme ich.
Meine Wissensrelevanzzeit wird mit 13,00 Jahren festgelegt. So lange soll mein berufsspezifisches Wissen »ohne weitere Qualifizierungen voll wertschöpfungsrelevant« sein. Prima.
Dann behaupte ich, seit 15 Jahren – etwa so lange arbeite ich als Journalist – im Unternehmen tätig zu sein. Meine Wochenarbeitszeit schätze ich moderat auf 40 Stunden. Bei Ausbildungsniveau klicke ich »Abitur« an. Als die Frage nach »Personalentwicklungsmaßnahmen« auftaucht, muß ich überlegen. Schließlich empfinde ich mich in permanenter Weiterbildung. Könnte ich hier die Kosten für die vielen weiten und schönen Recherchereisen eintragen? Ich verzichte und begnüge michmit 1000 Euro für verschiedene Sprachkurse. Schließlich geht es um mein Commitment (»Ausdruck, der die Bereitschaft der Mitarbeiter, sich für die gegenwärtige Aufgabe einzusetzen, beschreibt«) meinen Context (»Sammelbegriff für diverse Aspekte der Arbeits- und Führungssituation«) und die Retention (»Neigung der Mitarbeiter, sich längerfristig an das Unternehmen zu binden«). Bei allen dreien erlaube ich mir – als mein eigener Chef – die Höchstwerte einzutragen. Dann darf ich auf »Ergebnis« klicken, bekomme die Rechnung und staune.
Meine »Wertbasis« liegt bei 57 353 Euro. Mein »Wertverlust« von 7647 Euro wird durch den Gewinn bei der »Personalentwicklung« von 6500 Euro zu einem großen Teil wettgemacht. Als außerordentlich rentabel erweisen sich die hohen Werte, die ich mir bei Commitment , Context und Retention zuerkannt habe, nämlich je 18 735,33 Euro.
All dies zusammengenommen ergibt 112 411 Euro. Das ist mein – mit zugegebenermaßen viel Spielerei – ermittelter Humankapitalwert . Ich bin beeindruckt. Für einen Moment. Dann kommt die Frage: Ist das nun viel oder wenig? Gut oder schlecht?
Ich gehe in der Software zurück, spiele mit den Werten, gebe mir einen Hochschulabschluß. Schon bin ich 190 530 Euro wert und denke: Ach hätte ich doch … Ich mache aus mir einen Buchhändler mit Abitur – 90 983 Euro, einen Detektiv – 93 607 Euro, einen Maschinenschlosser – 71 669 Euro, einen »Hilfsarbeiter ohne nähere Tätigkeitsangabe« – 48 576 Euro und vieles, vieles mehr.
112 411 Euro. Was bedeutet
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