Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Was bin ich wert

Was bin ich wert

Titel: Was bin ich wert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joern Klare
Vom Netzwerk:
Arbeitsloser. Alle gleich zu behandeln, klingt großzügig und natürlich auch gerecht. Im Rahmen der ökonomischen Logik, die den Berechnungen zugrunde liegt, wirkt es aber inkonsequent. Die einzelnen konkreten Opfer kosten die Volkswirtschaft unterschiedliche Summen. Und so wäre, vereinfacht gesagt, eine Ampel vor einer Berufsschule volkswirtschaftlich wohl sinnvoller als eine Ampel vor einem Altenheim. Zur konkretenBegründung im Sinne der Volkswirtschaft ließe sich ganz einfach die Generationenbilanz von Raffelhüschen – auch gegen dessen Willen – heranziehen. Ich will das nicht. Es wiederspricht, um das klarzustellen, eindeutig meinem Gefühl von Gerechtigkeit. Die ökonomische Logik würde das aber verlangen, wenn man ihr mit der Konsequenz folgte, die sich die Ökonomen sonst immer wünschen. Stimmt da vielleicht etwas nicht mit dieser Logik? Oder ist sie hier vielleicht grundsätzlich fehl am Platz? Ich denke ja.
    Ich bin der Meinung, es ist dem Kantschen Verständnis von Würde im Sinne des Grundgesetzes nicht angemessen, wenn der Staat mich beziehungsweise die Leben seiner Bürger aufgrund ihrer potentiellen Produktivität, also ihres Nutzens bewertet und entsprechend schützt. Ich glaube, das ist das »A«, von dem die Medizinhistoriker Halling und Vögele sprachen, die scheinbar »unschuldige« Rechnung, die bei einer Verkehrung der Voraussetzungen fatale Folgen, eben »B«, haben könnte. Der Staat, das heißt auch seine Behörden, sollte aber die Finger von diesem »A« lassen. Er hat nicht wie ein Wirtschaftsunternehmen zu fragen, was ihm ein Mensch, also auch ich, nutzt oder noch einbringt. Der Staat soll seine Bürger, also auch mich, schützen. Das ist seine Aufgabe.
    Natürlich hat das Grenzen. Gewisse Risiken lassen sich nicht vermeiden und sind zumutbar. Alles andere wäre weltfremd. Es kann nicht an jeder Ecke eine Ampel, eine Fußgängerbrücke, eine Tempo-30-Zone und so weiter geben. Das Risiko sollte aber, soweit möglich, für alle gleich sein. Das ist wichtig.
    Da die Schlußfolgerungen aus der Kalkulation der Bundesanstalt für Straßenwesen letztlich für alle gleich sind, sind die praktischen Auswirkungen grundsätzlich legitim. Doch die Grundlage, das heißt die ökonomische Bewertung von Menschenleben, auf denen die Entscheidungen getroffen werden, ist kaum zu rechtfertigen.

33.
Ein Mißverständnis auf der Oranienburger Straße. Gesprächsversuch mit einer Prostituierten
    Der bekannteste Straßenstrich Berlins liegt an der Oranienburger Straße in Berlin-Mitte. Die Gegend ist vor allem bei Berlin-Touristen beliebt, die hier das wahre Szeneleben suchen. Mittendrin stehen oder flanieren jeden Abend ein paar Dutzend Frauen auf der Suche nach Kundschaft. Die Berufskleidung ist einheitlich und sie ist extrem. Schnürmieder betonen die Taille, Push-ups heben die Brüste hervor, dazu sehr hohe Stiefel, sehr kurze Röcke und sehr langes, mehr oder weniger künstliches Haar.
    Als mal ein Freund mit dem Auto hier langfuhr, rief seine fünfjährige Tochter im Kindersitz auf der Rückbank »Schau mal Papa«, und dabei zeigte sie begeistert auf die Frauen am Straßenrand, »Barbiepuppen!« Nach dem Staunen kamen die Fragen. Sie wollte wissen, was die Frauen machen. Mein Freund antwortete: »Die verkaufen ihren Körper.« Das löste aber vor allem Verwirrung aus. »Warum verkaufen die denn ihren Körper? Wollen die den nicht mehr?« Der Vater erkannte die argumentative Sackgasse und versuchte einen anderen Erklärungsansatz: »Es gibt Männer, die sind so häßlich, daß sie dafür bezahlen müssen, wenn sie geküßt werden wollen«. Das konnte die Tochter schon eher verstehen.
    Aber wie ist das mit dem »Körper verkaufen«? Auf eine Antwort hoffend, stehe ich am frühen Abend an der Ecke Oranienburger und Große Hamburger Straße und überlege, welche der Damen ich in meine Recherche einbeziehen soll. Das mit der Einbeziehung läuft dann aber andersrum. Sie ist etwa einen Kopf kleiner als ich und sehr blond.
    –   Hallo, na?
    –   Oh, hallo …
    Sie trägt die beschriebene Uniform in schwarz, nur Rock und Stiefel sind weiß und aus lackiertem Leder. Ich bin ein bißchenüberrumpelt, habe auch noch keine klare Strategie für meine Fragen. Sie ist da offensichtlich ein bißchen erfahrener.
    –   Ganz allein unterwegs?
    Sie steht jetzt sehr nah vor mir. Ich kenne mich bei Parfums nicht aus. Aber sie hat sehr viel davon benutzt. Sie lächelt erwartungsfroh, sieht zumindest so

Weitere Kostenlose Bücher