Was bin ich wert
Rolle spielen. Auch Veränderungen bei den medizinischen Behandlungskosten müßten dabei berücksichtigt werden. Wenn man es so sieht, könnte der kostenintensive medizinische Fortschritt den Kostenansatz für ein Unfallopfer erhöhen, und auch mich sozusagen »teurer« machen. Assing schaut auf die Uhr. Zeit für die letzten Fragen.
– Aber ist das nicht eventuell eine politische Frage? Wenn die Unfallkosten erheblich sinken oder steigen, weil man eine neue Methode anwendet, dann hat das doch eventuell auch politische Konsequenzen, weil man dann verpflichtet wäre, entsprechend mehr oder auch weniger in Sicherheitsmaßnahmen zu investieren?
Ich denke an die administrative Absenkung des Wertes für ein statistisches Leben in den USA während der Regierungszeit von Bush junior, über die ich schon mit Spengler gesprochenhatte. Also an die verführerische Möglichkeit, mit einer Manipulation der Zahlen konkrete Politik zu machen. Bei einem niedrigeren Wert müßte schließlich weniger investiert werden.
– Deswegen versuchen wir das nach möglichst objektiven wissenschaftlichen Standards zu berechnen.
Auch oder gerade »möglichst objektive wissenschaftliche Standards« scheinen mir nicht ganz frei von willkürlichen oder zumindest diskussionswürdigen Entscheidungen bei der Wahl der Methode oder der Gewichtung der einzelnen Komponenten zu sein. Dafür spricht schon die Tatsache, daß die Wissenschaftler in den USA für sehr ähnliche Zwecke einen völlig anderen Ansatz mit wesentlich höheren Summen, eben den WSL bevorzugen. Obwohl mir der ja noch beliebiger vorkommt. Eine letzte Frage.
– Wir reden von den Verlusten der deutschen Volkswirtschaft. Wird denn zwischen deutschen und ausländischen Opfern differenziert?
Ich habe hier zum Beispiel die Holländer auf deutschen Autobahnen im Hinterkopf, die ja eigentlich nicht zu unserer Volkswirtschaft zählen. Assing lächelt nicht mehr. Er schaut ein wenig erschrocken.
– Nein, da wird nicht differenziert.
Zum Abschied drückt er mir einen Bericht in die Hand – Volkswirtschaftliche Kosten der Personenschäden im Straßenverkehr . Da steht alles drin, was er mir gesagt hat, nur noch ausführlicher beziehungsweise komplizierter. Stutzig werde ich bei dem Thema Organtransplantationen. Habe ich auch noch auf meiner Rechercheliste, allerdings erst etwas weiter unten. In dem Bericht wird kalkuliert, was die möglicherweise von verunglückten Unfallopfern gespendeten Organe der Gesellschaft nutzen könnten. »Die Organe tödlich verletzter Unfallopfer«, heißt es da, »stellen wirtschaftstheoretisch eine Angebotsausweitung dar, die kostendämpfend wirken kann.« Das könnte, so die Rechnung, über 28 Millionen Euro einbringen. Ganz schön mutig, denke ich. Eine ethische Mega-Tretmine. Allerdings bleibt es bei einer Art Modellrechnung. Der potentielle »Profit« wird aus ethischen Gründen, wie Assing mir später tabubewußt am Telefon erklärt, dann doch nicht mit den Verlusten verrechnet, weil »man Tod nicht positiv bewerten will«. Da hat er, so scheint es, gerade noch mal die Kurve gekriegt.
Der Ausflug in die volkswirtschaftliche Logik der Bundesanstalt für Straßenwesen hat meine Sammlung von »Lebenswertberechnungen« um den Wert 1,2 Millionen Euro bereichert. Vorläufig. Denn als das von Assing erwähnte überarbeitete Methodenpapier im August 2010 veröffentlicht wird, liegt der »Kostensatz für einen Getöteten« bei nur noch 1 018 064,51 Euro und nach der neusten Angleichung gar bei 996 412 Euro. Als Grund wird eine »Anpassung des Rechenmodells« insbesondere bei dem »Bewertungsverfahren für die Ressourcenausfallkosten« angegeben. Das ist kompliziert, aber sicher nicht vertrauensfördernd, was die vermeintliche Objektivität der ökonomischen Wissenschaft betrifft. Erfreulich ist allerdings, daß die Unfallzahlen, insbesondere auch bei den Todesopfern, weiter deutlich zurückgegangen sind.
996 412 Euro würden, so das BASt, der Volkswirtschaft entgehen, wenn ich bei einem Verkehrsunfall ums Leben komme. Dementsprechend ist es für den Staat ökonomisch sinnvoll, diese Summe in die potentielle Vermeidung meines Todes im Straßenverkehr zu investieren. Rein statistisch natürlich. Im Detail ist es ja doch wieder ein bißchen kniffliger. Da es ein Durchschnittswert ist, gilt er nicht nur für mich, sondern für alle Menschen im deutschen Straßenverkehr, egal ob Kleinkind, Rentner, Manager, Chefarzt oder
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