Was bin ich wert
Ressourcenausfallkosten sowie die Wertschöpfung aus Schattenwirtschaft und Hausarbeit. Zumindest nach den Berechnungen des BASt. Ich fürchte es wird kompliziert. Ich frage trotzdem.
– Und wie ermitteln Sie die Ressourcenausfallkosten?
– Es geht um die Produktionsfunktion und das durchschnittliche Produktionspotential. Dazu kommt das durchschnittliche Alter der Opfer. Damit wird dann alles berechnet.
Klingt immer noch nach Koch-Show. Alles in den großen Mixer. Es geht in der Rechnung nicht um die tatsächlich ermittelte volkswirtschaftliche Durchschnittsleistung eines Bundesbürgers, sondern um das, was er unter normalen wirtschaftlichen Bedingungen noch hätte maximal leisten können . Oder wie Assing sagt, um den »potentiellen Produktionswert bei Normalauslastung der Produktionsfaktoren«. Das BASt berechnet ausgehend vom konkreten Alter, wie lange das Opfer noch gearbeitet hätte, und ermittelt so den jeweiligen Wert der einzelnen Toten. Bei einer Anhebung des gesetzlichen Rentenalters erhöht sich mit der Lebensarbeitszeit dementsprechend auch der potentielle Produktionswert. Am Ende der Kalkulationen wird wieder alles zu einem Durchschnittswert zusammengefaßt.
– Damit vermeidet man das ethische Problem, daß eigentlich jedes Opfer entsprechend seiner unterschiedlichen Produktionsbeiträge unterschiedlich bewertet werden müßte. Der genaue Betrag wird jährlich angepaßt und verändert sichauch immer wieder leicht. Aber in der Regel liegt er bei rund 770 000 Euro.
– Wenn es der Wirtschaft besser geht, dann sind die Kosten beziehungsweise der volkswirtschaftliche Schaden, der durch einen Verkehrstoten entsteht, doch höher, oder?
Und ich wäre mehr wert, so meine ganz einfache Rechnung.
– Es geht um das Potential, um das, was möglich wäre.
Ich muß mich sehr konzentrieren. »Potential« und »wäre«, sagt er netterweise etwas lauter. Und er spricht jetzt auch ganz langsam. Konjunkturschwankungen, also die tatsächliche aktuelle Nachfrage, spielen in den BASt-Rechnungen keine Rolle, da sich das Produktionspotential ohnehin an der Obergrenze der möglichen Wertschöpfung orientiert. Allerdings können dauerhafte Veränderungen auf dem Arbeitsmarkt das Produktionspotential – und somit, ganz einfach gesagt, auch den für mich veranschlagten Durchschnittswert – beeinflussen. Ich versuche noch mal eine Zusammenfassung im Sinne des BASt.
– Ich kann also sagen: Wenn ich jemanden bei einem Unfall töte, dann habe ich seiner Familie ein nicht monetarisierbares Leid und der Volkswirtschaft einen Schaden von 1,2 Millionen Euro zugefügt? Das ist nicht der Wert eines Lebens, bezeichnet aber den potentiellen Schaden, welcher der Volkswirtschaft im Durchschnitt entsteht.
Nicht ganz ohne Stolz schaue ich fragend zu Assing. Meine Übersetzung der BASt-Zahlen scheint ihn zu foltern.
– Ja genau, wenngleich das schwierig ist. Man kommt da leicht in einen Bereich, wo man es falsch ausdrücken könnte.
Da liegt, so vermute ich, wieder ein ethisches Spannungsfeld. Assing fühlt sich sichtlich unwohl. Ich will aus der Theorie wieder in die Praxis, das heißt zu den Kosten-Nutzen-Rechnungen. Ich brauche ein plastisches Beispiel und wähle die klassische Ampel.
– Mal konkret und stark vereinfacht: Eine Ampel, die fünf Millionen Euro kostet und drei Menschen das Leben rettet,würde die gebaut? Die drei vermiedenen Unfalltoten würden schließlich »nur« 3,6 Millionen entsprechen. Das wäre also ein Verlustgeschäft.
Assing – immer noch besorgt, auf einer der ethischen Tretminen zu landen – windet sich. Das Wort »Verlustgeschäft« gefällt ihm nicht. Er holt etwas weiter aus.
– Für solche konkrete Maßnahmen sind unter anderem die Unfallkommissionen mit Vertretern der Polizei, der Straßenbau- und Straßenverkehrsbehörde zuständig. Die beschäftigen sich mit den Unfallhäufigkeiten und -ursachen an einer konkreten Stelle und beraten, wie am besten Abhilfe geschaffen werden könnte.
Aber schließlich:
– Und die arbeiten auch mit unseren Zahlen.
Die BASt überprüft etwa alle zehn Jahre ihre Rechenmethode beziehungsweise läßt sie von externen Fachleuten überprüfen. Zur Zeit ist es wieder soweit. Es wird vor allem überlegt und entschieden, welche Komponenten in die wirtschaftliche Verlustrechnung mit einfließen sollen und welche nicht. Etwa ob die volkswirtschaftlichen Kosten, die durch einen Stau nach einem Unfall entstehen, eine
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