Was bin ich wert
immer auch subjektiv.
– Auch in der Volkswirtschaft?
– Ja, klar.
Schwermer muß sich wieder ihrer Arbeit widmen. Ich verabschiede mich und bin ein bißchen hin und her gerissen. Ich finde, daß die Umwelt viel zuwenig und inkonsequent geschützt wird. Eine monetäre Bewertung kann in entsprechenden Diskussionen nützlich sein. Weil »unbezahlbar« ja auch bedeutet, daß man für etwas nicht bezahlen kann und auch nicht bezahlen muß. Und schließlich ist auch der Mensch Umwelt, auch er leidet an der Verschmutzung und Zerstörung, auch, oder besser: vor allem er soll geschützt werden. Muß er, der Mensch, nicht folgerichtig auch einen monetären Wert bekommen, um zumindest eine entsprechende ökonomische Wertschätzung in Umweltfragen zu erfahren? Das wäre logisch. Aber nur im Rahmen einer ökonomischen Logik. Die hat hier aber nichts zu suchen.
Daß der methodische Ansatz des Umweltbundesamtes zur Berechnung des »Wertes eines verlorenen Lebensjahres« auf einer, wie schon dargestellt, prinzipiell fragwürdigen Methode basiert, ist da schon fast zu vernachlässigen. Abgesehen davon finde ich aber 50 000 Euro für ein Lebensjahr auch persönlich und konkret inakzeptabel. Da müßte man vielleicht mal ernsthaft mit den Engländern, Franzosen und Italienern reden, damit sie bei der nächsten Umfrage noch was drauflegen.
Das eigentliche Problem aber ist gravierend, weil analog zu den Berechnungspraktiken der Bundesanstalt für Straßenwesen prinzipieller Natur. Der Staat hat mich zu schützen undnicht zu bewerten. Auch nicht mit Durchschnittsrechnungen. Er soll mein Leben vor unverhältnismäßigen beziehungsweise unnötigen Risiken bewahren, weil das seine Aufgabe ist, und nicht weil ansonsten fiktive Eurosummen auf der volkswirtschaftlichen Verlustseite auftauchen könnten.
Zum Abschied drückt Schwermer mir noch das Sachstandpapier zur »Bewertung von Gesundheitsrisiken« in die Hand. Darin lese ich, daß die 50 000 Euro für ein Lebensjahr einer Million Euro für ein ganzes Leben entsprechen sollen. Inklusive diverser Zinsrechnungen und rein statistisch, selbstverständlich.
Mir scheint, daß die Million nicht nur auf Lottospieler und Zuschauer von Wer wird Millionär? , sondern auch auf Menschenwertberechner eine besondere Faszination ausübt. Vielleicht liegt es daran, daß mit dieser Zahl eine Art numerische Unendlichkeit beginnt. Konkret nicht mehr zu fassen und somit schon fast beliebig, zumindest für mich Normalrechnenden.
Dabei war die Million bis in die Renaissance in unserem Kulturkreis unbekannt, weil man die Zahlen der Römer benutzte, die weder ein Zeichen noch einen Namen für die Million kannten. Bei ↂ (10 000) war Schluß. Alle größeren Zahlen mußten mit komplizierten Wiederholungen formuliert werden. Die Zahl »Million« haben wir den Indern zu verdanken, weil sie die Null – das lateinische »nulla« bedeutet »Nichts« – einführten. Die Araber perfektionierten das System und brachten es nach Europa. Allerdings verwendeten die Ägypter für die Million in ihrer Hieroglyphenschrift schon ein Zeichen, das einen Mann darstellt, der auf die Knie gesunken ist und die Hände über dem Kopf zusammenschlägt, was wiederum durchaus an einen frisch informierten Lottogewinner erinnert. Trotz solcher kleinen Inseln der Fröhlichkeit ist meine Marktforschung zum Wert meines Lebens mit all ihren Abgründen eine bisweilen recht einsame Angelegenheit. Deswegen freue ich mich auf den nächsten Termin. Das Treffen mit einem echten Fachmann auf dem Gebiet der Menschenpreise.
35.
»Besser viele Zahlen als eine falsche.« Auf ein Würstchen mit dem Experten Josef Nussbaumer
Professor Josef Nussbaumer ist Ende Fünfzig, nicht besonders groß und nicht besonders schlank. Ein angenehm gemütlicher, angenehm uneitler Volkswirt mit wasserblauen Augen und hellem, leicht schütterem Haar. Er sieht ein bißchen aus wie ein österreichischer Buddha. Er lebt und lehrt in Innsbruck. Ich treffe ihn dort in einem Café in der Nähe des Bahnhofes. Wir trinken Apfelschorle. Nussbaumer bestellt dazu Wiener Würstchen.
Er hat eine Reihe von Büchern herausgegeben, von denen mich zwei besonders interessieren. Das eine trägt den Titel Von Menschenhandel und Menschenpreisen , das andere Von Körpermärkten . So gesehen ist Nussbaumer der Experte, nach dem ich so lange gesucht habe. Ich beginne mit der Grundsatzfrage.
– Was bin ich wert?
– Oh, das ist eine schwierige Frage.
Oh
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