Was bin ich wert
das Thema lieber ein wenig größer auf und erzähle Nussbaumer von dem Bericht des Weltklimarates, das heißt von mir und den 15 Bangladeschis. Er schüttelt den Kopf. Bei aller Entspannung, jetzt wirkt er ein bißchen angewidert.
– Das mit den Bangladeschis ist natürlich purer Zynismus. Diese Logik darf es nicht geben.
Gut, wir sind uns einig. Die Wiener Würstchen kommen.
– Was haben Sie gegen die Aussage, daß ein Mensch unbezahlbar ist?
– Das ist eine andere Sprachkategorie. Eine Metaebene. Die funktioniert auf einer anderen Basis. Was heißt für einen Ökonomen schon unbezahlbar? »Sinnlose Investition« wäre da eine präzisere Größe.
Nussbaumer schaut auf seine Würstchen.
– Und in der Politik ist »unbezahlbar« im Grunde sehr oft nichts als ein Euphemismus. Die Politik will sich nicht eingestehen, was sie tut. In dem Dilemma ist jeder. Auch im persönlichen Bereich. Wir sagen, »das Leben ist unbezahlbar«, wissen aber, daß wir ungesund leben. Das wollen wir nur so nicht benennen, weil wir uns dann anders mit dem Tod auseinandersetzen müßten.
Er bittet die Kellnerin um Senf.
– Die Bewertung von Menschenleben hat es immer gegeben. Die wird es immer geben. Wenn es ans »Eingemachte« – also um hart miteinander konkurrierende Ansprüche – geht, wird eben gerechnet. Jeder macht das. Als ich mit meinen Recherchen in diesem Bereich begann, war ich schockiert. Heute ist es ganz selbstverständlich.
– Wie präzise können oder sollen die Zahlen sein?
– Einen präzisen, verbindlichen Wert kann es nicht geben. Um so präziser die Zahl ist, um so unangebrachter oder ungenauer ist sie auch.
– Was dann?
– Es geht um Richtwerte, um Größenordnungen. Wenn man bei diesen Berechnungen vom Computer ein sehr präzises Ergebnis bekommt, muß man das ja nicht glauben. Wenn man das Ergebnis hat, beginnt die Denkarbeit. Das ist sehr, sehr wichtig. Alles andere wäre zynisch.
Der Senf ist da. Nussbaumer widmet sich den Würstchen. In einem seiner Bücher hat er bizarre Listen veröffentlicht. Preislisten natürlich. Da ist von 14 Euro die Rede, die für ein Baby in Indien gezahlt wurden, von fünf Kühen, für die eine Brautin Kenia oder 30 Rindern und einer Kalaschnikow, für die eine Braut im Süd-Sudan zu haben ist. Er listet Scheidungsurteile auf, bei denen Ehejahre in Geld umgerechnet werden. Ausgehend von den 1,2 Milliarden Euro (Rekord!), die der Medienmogul Rupert Murdoch seiner Frau Anna bei der Scheidung nach 32 Ehejahren zahlen mußte, errechnete Nussbaumer, daß ein Ehejahr 37,5 Millionen Euro und eine Ehesekunde 1,20 Euro wert war. Dann gibt es unter anderem noch eine kleine Auswahl von Lösegeldern bei Entführungen (Rekord in Deutschland: 30 Millionen Mark, die im Jahr 1996 für Jan Philipp Reemtsma gezahlt wurden) und Kopfgeldern, je 25 Millionen Dollar für Saddam Hussein und Osama Bin Laden. Ganz am Ende der Aufstellungen wundert sich dann sogar Nussbaumer, als er von dem Schweizer Musiker Tim Steiner berichtet, für dessen Rückentätowierung ein deutscher Kunstsammler 150 000 Euro zahlte. Dafür darf er die Tätowierung (mit Steiner) dreimal im Jahr ausstellen und bekommt nach dem Tod Steiners die Rückenhaut (ohne Steiner) ausgehändigt.
Die Würstchen sind weg, die Kellnerin holt den Teller. Meine Zweifel sind noch da.
– Lassen sich die Berechnungen von Menschenleben nicht vermeiden?
– Nein. Weil wir mit der Knappheit umgehen müssen. Es ist gar nicht die Frage, ob das gut oder schlecht ist. Man muß rechnen. Allerdings auf einer abstrakten Durchschnittsebene. Nicht individuell, nicht was ein Individuum wirklich kosten soll. Also nicht bei der Frage, was für die Rettung eines Menschenlebens investiert werden kann. Nehmen sie einen Bluter.
Im August 2009 klagte der Chef der Gemeinsamen Betriebskrankenkasse Köln ( GBK ), daß zwei seiner 30 000 Mitglieder die GBK »zum Sanierungsfall« gemacht hätten. Die beiden Patienten – darunter ein neunjähriger Junge – leiden an einer besonders seltenen und tragischen Form der Hämophilie, einer Erbkrankheit, bei der dem Blut ein Gerinnungsfaktorfehlt. In ganz Deutschland gibt es bei insgesamt etwa 6000 Blutern nur ein halbes Dutzend dieser sehr speziellen Fälle. Laut GBK kostete die medizinische Versorgung der beiden in zwei Jahren zusammen 14 Millionen Euro.
– Privatversichert ginge das nicht. Das ist nur solidarisch aufzufangen. Aber wenn es jetzt sehr
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