Was bin ich wert
erzählt. Weiter Polossek:
– Aber in der konkreten Realität ist das oft nicht zu leisten.
– Wo ist das Problem?
– Jeder, ich natürlich auch, bewertet seine Mitmenschen. Manche sind ihm mehr wert als andere. Das sollte ja eigentlich nicht sein. Ist aber so.
– Ja, ist so.
– Wichtig ist, daß man nicht den ohnehin bröckelnden inneren Maßstab verliert. Daß wir uns von den Berechnungen des Wertes eines Menschen nicht bezwingen lassen. Daß das Denken in wirtschaftlichen Kategorien nicht unser Sein bestimmt.
Er »predigt« nicht. Er spricht ganz ruhig und mir ganz nebenbei auch ein wenig aus der Seele
– Für eine Gesellschaft ist es allerdings schwierig, in diesen Sachzwängen zu leben und sich trotzdem das Ideal vom absoluten Wert des Menschen zu erhalten. Denn natürlich kann man bei den begrenzten Ressourcen nicht allen alles zukommen lassen. Wenn zum Beispiel hier ein Hochbetagter für ein Vermögen durch alle Therapien geschickt wird, damit er eventuell ein paar Wochen oder Monate länger lebt, dann ist das ja immer auch eine schreiende Ungerechtigkeit gegenüber den Tausenden, die verrecken, weil sie nicht mal sauberes Trinkwasser haben.
Das Problem der begrenzten Ressourcen, die Erkenntnis, daß nicht alle alles haben können, die Frage nach der gerechten Verteilung, Polossek beschreibt den klassischen Grundkonflikt. Es wird spannend.
– Manchmal wird das ja auch nur für die Verwandten gemacht, weil die sonst ankommen von wegen »Warum habt ihr mit Opa nicht mehr angestellt?« Und der arme Mann will vielleicht einfach nur sterben. Und er wird dann zwangstherapiert, weil die Verwandten mit dem Tod nicht mehr umgehen können und die Mediziner ihre neueste Technik auffahren wollen.
Polossek spricht aus der Erfahrung seines Alltags als Seelsorger und ist dabei angenehm entspannt.
– Als Christ sollte man um die Vergänglichkeit, um die Grenze seines Lebens wissen. Man könnte sich ja auch dem Willen Gottes anvertrauen und sagen: Wenn es ist, wie es ist, dann muß ich mit Anstand abgehen und nicht verzweifelt dagegen anrennen. Aber das kann man keinem vorschreiben. Und es wäre im wahrsten Sinne des Wortes entwürdigend, wenn die Krankenkasse sagen würde: »Das zahlen wir nicht mehr.« Und auf der anderen Seite sind es oft geringfügige Mittel, mit denen man Hunderttausende in der Dritten Welt retten kann.
Ein Arzt aus meiner Familie hat mal ausgerechnet, daß man mit 100 000 Dollar eine Million Kinder in Afrika gegen Kinderlähmung impfen oder aber in Deutschland das Leben von zwei bis drei Darmkrebspatienten um durchschnittlich vier Monate verlängern kann. Vor solchen Fragen kann man sich nicht verschließen, sagt Polossek. Und ich erzähle ihm von einem Erlebnis in einem Sterbehospiz in Sambia, wo ich einem AIDS-kranken Mann begegnete. Ihm war es in den letzten Jahren immer wieder irgendwie gelungen, das Geld für die überlebensnotwendigen Medikamente aufzutreiben. Jetzt aber, so berichtete er, ginge das nicht mehr. Ohne Geld müsse er aber sterben, weswegen er in das Hospiz gekommen sei. Eine einfache Geschichte vom Leben, vom Tod und vom Geld. Der Mann bat mich seltsamerweise nicht um Hilfe. Und ich bot ihm keine an. Das hat mich noch oft beschäftigt. Eigentlich bis heute. Mir scheint, ich habe das jetzt nicht nur erzählt, ich habe es gebeichtet. Pfarrer Polossek lacht. Es ist ein wissendes Lachen.
– Als Christ muß man auch immer mit der eigenen Begrenztheit umgehen. Das Scheitern gehört mit dazu. Man kann nicht mit dem allumfassenden Anspruch des Gutmenschen umherlaufen und furchtbar darunter leiden, daß die Möglichkeiten auf diese Welt begrenzt und die Bedingungen nicht ideal sind. Selbst die, die sonst immer große Predigten halten, legen auch die Hand auf die Tasche, wenn ein Notleidender kommt. Die sagen auch nicht: »Ich geb dir alles,was ich habe, weil deine Not viel größer als meine ist«. Die wissen auch zu rechnen.
Ich habe nicht nur gebeichtet, ich werde auch noch getröstet. Es klingelt. Polossek geht an die Gegensprechanlage. Jemand behauptet, einen Termin mit ihm zu haben. Polossek kann sich nicht erinnern, bittet, in einer halben Stunde noch mal vorbeizukommen. Ich habe inzwischen den Faden wiedergefunden:
– Wenn in der Bibel der Wert des Menschen vom Staub bis knapp an Gott reicht, dann ist eine so breite Antwort ja im Grunde keine Antwort, oder?
– Natürlich kann man sich auf fromme Sprüche
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