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Was bin ich wert

Was bin ich wert

Titel: Was bin ich wert Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Joern Klare
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Geld?
    Fragt ein Dritter.
    –   Ja, in Geld.
    Sage ich.
    –   Das Leben ist nichts wert. Kannste dich am nächsten Baum aufhängen, und dann ist gut.
    –   Also es gibt Gesundheitsökonomen, die sagen, ein Jahr könnte 50   000 Euro wert sein.
    –   Ein Jahr? 50   000 Euro?
    –   Ja.
    –   Ach du Scheiße.
    –   Ein Toter im Verkehr kostet eine knappe Million Euro.
    –   Ein Verkehrstoter?
    –   Ja, ein Verkehrstoter.
    –   Oh, dann wäre ich gern ein Verkehrstoter. Kriegt man das gleich in bar?
    Gelächter. Es klingt etwas bitter. Dann eine neue Idee.
    –   Die könnten mir zehn Prozent der Rente geben, die ich mal bekommen werde. Die verprasse ich, und dann können die mich aus dem Fenster schubsen
    Wieder Gelächter. Weniger bitter. Der Gruppenälteste, ich schätze ihn auf 60, kommt auf mich zu.
    –   Aber das ist doch ne perverse Frage. Was ist ein Mensch in Geld wert? Das geht doch gar nicht. Wie geht denn das ethnisch?
    Er meint wohl »ethisch«. Und ist damit beim Kern des Problems.
    –   Das haut doch gar nicht hin.
    –   Ist eine schwierige Frage. Ich weiß.
    –   Denk mal an einen Verkehrsunfall. Wen rette ich? Die Oma oder das Kind? Ich rette doch das Kind.
    So gesehen bevorzugt er vermutlich den Humankapitalansatz. Könnte aber auch in Richtung QALY s gehen. Bei dem Kind rettet er ja potentiell auch mehr Lebensjahre.
    –   Man muß doch entscheiden. Das geht ja nicht anders. Also ich würde den Enkel retten. Der hat das Leben noch vor sich. Die Oma hat es schon fast hinter sich.
    Von einer Kosten-Analyse hat er allerdings nichts gesagt. Vielleicht sind es auch ganz andere Kriterien oder gar Gefühle, wegen deren er das Kind bevorzugen würde. Auf jeden Fall ist ihm die Tragweite der Entscheidung bewußt.
    –   Das ist zynisch, aber es ist nun mal so.
    –   Und ein Menschenleben in Geld, könntest du sagen, was das wert ist?
    –   Nee. Kann ich nicht. Will ich auch nicht. Selbst wenn … Das kannste nicht in Geld aufwiegen. Einen Menschen in Kohle. Auf keinen Fall.
    Einer von den Jüngeren kommt dazu. Auf der Stirn hat er eine große Schramme und auf dem Unterarm einen bunten Drachen.
    –   Moment mal! Wenn du siehst, was die für die Banken rausgehauen haben und dann sagen wollen, wir haben nicht das Geld für ne künstliche Hüfte. Das ist auch wieder zynisch.
    –   Stimmt.
    Sagt der Alte, und:
    –   Der Mensch ist … – ich würd jetzt nicht gerade sagen die Krone der Schöpfung. Aber er ist mehr wert als das, was um ihn rum ist. Von mir aus kann ein Haus zusammenbrechen. Hauptsache, der Mensch kommt lebend raus.
    Dann bieten sie mir ein Bier an. Ich muß aber zu Polossek.

39.
»Eine Grenze ziehen«.
Besuch beim Pfarrer
    Die St.-Marien-Liebfrauenkirche drängt sich wie eine Trutzburg mitten in einen Häuserblock. Das Pfarrbüro liegt im dritten Stock des Seitenflügels. Der Blick hinunter fällt auf einen schönen Sandsteinbrunnen im Innenhof. Das Büro selbst ist nüchtern und sehr aufgeräumt. An der Wand hängt ein Kalenderfoto mit tibetischen Gebetsfahnen. Polossek – ein schlanker, jungenhafter Mann mit braunem gescheiteltem Haar – sitzt in einem einfachen Ledersessel, ich auf der Vorderkante des dazu passenden Sofas. Ich frage, der erwarteten religiösen Ausrichtung des Gesprächs angemessen, ganz universell:
    –   Was bin ich wert?
    –   Ich glaube, das passende Stichwort ist Selbstwertgefühl.
    Interessante Perspektive, die hatte ich fast vergessen.
    –   Etliche leiden darunter, daß sie da einen Mangel haben. Bei anderen ist es übergroß.
    Im Internet habe ich mal einen recht aufwendigen Test zur »Selbstwertschätzung« gemacht, bei dem ich zu Fragen wie »Haben Sie das Gefühl, daß die meisten Ihrer Bekannten attraktiver sind als Sie selbst?« Stellung nehmen mußte. Am Ende attestierte mir mein Computer einen »durchschnittlichen Selbstwert«, und ich dachte, die Zeit hätte ich mir auch sparen können.
    –   Auch die christliche Menschenwelt oszilliert da zwischen extremen Aussagen. »Der Mensch wurde aus dem Staub der Erde gemacht«, erstes Buch Moses. Oder der achte Psalm: »Du hast ihn nur wenig geringer gemacht als Gott, hast ihn mit Herrlichkeit und Ehre gekrönt.« So gesehen ist der Wert des Menschen aus der christlichen Perspektive ein absoluter Wert, den man nicht mit Zahlen relativieren sollte.
    Von »Zahlen« spricht er wohl nicht ganz zufällig. Ich habe ihm von meinen Recherchen

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