Was bin ich wert
erhalten oft nur ein paar hundert Euro und in der Regel keine ausreichende medizinische Nachversorgung. Im Jahr 2008 traf ich bei einer Recherchereise in Dubai auf einen indischen Bauarbeiter, der aufgrund seiner hohen Schulden einen Käufer für seine Niere suchte. Er hoffte auf einen Erlös von etwa 800 Euro. In Indien selbst gibt es das Organ auch schon für die Hälfte dieser Summe, während auf indonesischen Internet-Seiten eine Niere auch schon mal im Tausch gegen einen Kleinwagen angeboten wird.
Für Aufsehen sorgte im Dezember 2010 ein Bericht des Europarates, der dem amtierenden kosovarischen Ministerpräsidenten Hashim Thaci eine Verwicklung in den illegalen Organhandel vorwirft. Als früherer Führer der kosovarischen Befreiungsarmee UCK mit Verbindungen zum organisierten Verbrechen soll Thaci vom Verkauf der Organe serbischer Gefangener profitiert haben, die nicht zuletzt zu diesem Zweck ermordet wurden.
Ein ähnlich trauriger Sonderfall ist China. Im Jahr 2008 wurden laut Amnesty International mindestens 1718 Todesurteile vollstreckt. Da die genaue Zahl aber Staatsgeheimnis ist, wird die tatsächliche Anzahl auf ein Vielfaches geschätzt. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch geht davon aus, daß 90 Prozent der in China transplantierten Organe von Hinrichtungsopfern stammen. Häufig würden die Hinrichtungstermine entsprechend der Organ-Nachfrage von Spitälern und privaten Händlern festgelegt. Die Organe werden zum Teil auch ins Ausland verkauft oder Ausländern in China eingesetzt. Die Preise für ein Komplettpaket – Reisekosten, Organ, Operation – liegen laut Medienberichten bei knapp 50 000 Euro für eine Niere und weit über 100 000 Euro für eine Leber oder ein Herz.
Auch in Deutschland ist der Ver- und Ankauf von Organen verboten. Die Lebendspende ist nur bei Verwandten ersten und zweiten Grades, Ehegatten, Lebenspartnern, Verlobten sowie »anderen Personen, die dem Spender in besonderer persönlicher Verbindung offenkundig nahe stehen« möglich. Spezielle Gutachter-Kommissionen der Landesärztekammer prüfen die jeweiligen Umstände. Sonderlich effektiv scheint das Verfahren nicht zu sein. Die Ärztekammer Nordrhein gab offen zu: »Diese vom Gesetzgeber gewollte Überprüfung im Laufe eines Gespräches mit den Betroffenen kann sich nur auf gezielte Fragen beschränken, deren wahre Beantwortung nicht überprüft werden kann«. Nur etwa ein Prozent der Anträge wird abgelehnt.
Darüber hinaus gibt es eine wachsende Zahl von Medizinern,Juristen und Gesundheitsökonomen, die sich für einen zumindest geregelten Organmarkt aussprechen.
Dazu gehört auch Professor Peter Oberender. Er lehrte Wirtschaftstheorie an der Universität Bayreuth und ist Direktor der dort angesiedelten Forschungsstelle für Sozialrecht und Gesundheitsökonomie, zudem Direktor des Instituts für angewandte Gesundheitsökonomie und – nicht ganz unwichtig – Inhaber und Seniorpartner der Unternehmensberatung Oberender & Partner, die sich auf Gesundheitsökonomie und Krankenhausmanagement spezialisiert hat. In der Firmenbroschüre zählt er das deutsche Gesundheitswesen »zu den herausragenden Wachstumsmärkten der Zukunft«.
Ich treffe Oberender im Berliner Westin Grand Hotel. Wir sitzen in schweren, tiefen Sesseln im Foyer, das gerade von amerikanischen Touristen besetzt wird. Oberender ist Jahrgang 1941 und ausgesprochen zuvorkommend. Ein kleiner, fast zarter Mann mit weißroten Haaren. Er spricht leise und sanft.
Er räumt ein, daß ein Menschenleben »einen Wert an sich hat, den man nicht bewerten kann«. Von diesem Wert »an sich« abgesehen, sieht er aber in einer konkreten ökonomischen Berechnung kein Problem. Er sagt das sehr überzeugt. Bevor es um die Organe gehen soll, möchte ich da gern noch mal nachhaken.
– Sind denn nicht alle Leben gleichviel wert?
– Aus ethischer Sicht schon. Ökonomisch betrachtet ist das natürlich anders. Der Ökonom sieht den Mangel, die knappen Ressourcen, und er versucht, den Mangel zu beheben oder zu lindern, genau wie die Medizin. In dieser Hinsicht ist es aus ethischer Sicht völlig in Ordnung, den Wert eines Menschen zu berechnen.
Er plädiert dabei für das Kriterium einer dem Einkommen entsprechenden »Produktionsleistung«, was dem Humankapitalansatz entspricht. Auch Oberender übernimmt das Geschäft der Ethik gleich mit. Von Zweifeln keine Spur. Er plädiert wie Breyer für Kosten-Nutzen-Rechnungen mit monetarisierten QALY s auch
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