Was bisher geschah
sich als Schreiber oder Söldner reicher Städte.
Den Niedergang der Ritterkultur beziehungsweise die bürgerliche Antwort darauf verkörpert im 14. Jahrhundert kein Held so gut wie Robin Hood. Er steht für den fließenden Übergang vom Feudalismus zum Frühkapitalismus. Entsprechend verbindet der Legendenheld Ritterlichkeit mit einer Art ökonomischem Abenteurertum. Er ist keine historische Person, hat aber zahlreiche real existierende Vorbilder; und als Projektionsfigur gehört der Held vieler Balladen und Chroniken zum Alltag. Da »Legende« noch die ursprüngliche Bedeutung von Heiligenerzählung beziehungsweise einer erzählenswerten Geschichte hat, kann Robin zum Idol werden. Damals ist der Outlaw noch kein verarmter Adeliger wie in Theaterstücken ab dem 16. Jahrhundert und später in Filmen. Auch schenkt er die von den Reichen erbeuteten Schätze nicht selbstlos den Armen, wie man heute meint. Vielmehr gibt er als (bürgerlicher) Händler Kredite an Adelige und andere Kunden. In A Gest of Robin Hood , der mit Abstand längsten und kulturhistorisch wichtigsten der Robin Hood-Balladen, ist er ein aufstiegswilliger Bürger: »In ganz England gibt es keinen reicheren Kaufmann/Das wage ich zu sagen«, versichert Little John, das berühmteste Mitglied seiner Bande. Im Rückblick erweist sich die Ballade als eine Art Bibel des Unternehmertums – lange vor der theoretischen Begründung des Kapitalismus durch Adam Smith im 18. Jahrhundert.
Der Outlaw als reichster Händler Englands – das wirkt aus heutiger Sicht erstaunlich, ist damals jedoch zeitgemäß: Als Geächteter, aber guter Räuber verkörpert Robin den Kaufmann, der wegen seiner Geldgeschäfte als anrüchig bis sündig gilt und in Zeiten des Frühkapitalismus wegen seines Erfolges gleichwohl fasziniert. Ähnlich wie damalige Händler inszeniert sich Robin – auch auf mittelalterlichen Holzschnitten – durch aufwändige Mode als neuer Adeliger, als Angehöriger des Geldadels. Wie reale Händler verstößt er im 14. Jahrhundert als früher Moderebell gegen Kleiderordnungen. Diese erlauben bestimmte Stoffe wie Seide und Farben wie Purpur nur bestimmten Ständen und legen teils genau die Länge von Schleppen fest. Selbst Robins Lieblingsfarbe Grün symbolisiert im Mittelalter dubiose Qualitäten wie Wandelbarkeit und Ambivalenz. Damals wird die Mode noch ernst genommen. So ist der Modenarr in Sebastian Brants Volksbuch Das Narrenschiff (1494) einer der erstgenannten Narren neben vielen anderen wie dem Büchernarr und Habsuchtnarr. Das Besondere am Modenarr: Er steht nicht nur für Fehlverhalten wie Eitelkeit und Wankelmut, sondern auch und vor allem für die Anmaßung einer ihm nicht gebührenden gesellschaftlichen Stellung.
So wie heute Fernsehserien den Wandel von Sitten und Werten auf zugespitzte Weise spiegeln, gilt dies im Mittelalter für Volksballaden. Neben Predigten sind sie vielleicht die wichtigsten Massenmedien. Obendrein fließen sie in Chroniken ein, den damaligen Geschichtsbüchern. In mancher Ballade wird sogar die Gattung der hohen Minne zeitgemäß händlerhaft abgewandelt, die poetische Anbetung einer Dame als Zeichen ritterlicher Gesinnung. Als Gegenstück zur hohen Minne konnte die niedere Minne auch bei Rittern schon die Befriedigung des Geschlechtstriebs durch die Vergewaltigung einer Magd beinhalten. Doch nun verführen in spätmittelalterlichen Balladen zum Beispiel windige Topf-Verkäufer in Varianten älterer Minnegeschichten wie jenen von Dietmar von Aist Frauen mit Hilfe ihrer attraktiven Ware.
Einerseits bringt die Propagierung von ökonomischer List, Flexibilität und Dynamik eine soziale Mobilität mit sich; so können viele aus ihrem armseligen Dasein ausbrechen. Andererseits passiert das teils auf Kosten der Sicherheit, welche die feudalen Verhältnisse im Optimalfall boten. Auch geht langsam eine der schöneren Seiten des Mittelalters verloren: Mit rund 100 Feiertagen im Jahr gibt es im Mittelalter weniger Stress und Leistungsdruck im heutigen Sinn als seit der Neuzeit.
Ein sozusagen konservatives Gegenstück zu den Balladen mit dem aufstiegswilligen Robin Hood sind die Geschichten des anderen großen englischen Nationalhelden, der im Spätmittelalter Publikumserfolge feiert: der sagenhafte keltische König Artus. Er soll um 500 die Sachsen besiegt haben. Jedenfalls macht ihn Thomas Malory in Die Geschichte von König Artus und den Rittern der Tafelrunde (gedruckt 1485 unter dem Titel Morte Darthur ) zur Legende und
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