Was bisher geschah
mit beweglichen Lettern, Brillen, Knopflöcher, Schubkarren, Kompasse und mechanische Uhren. Mit dem Bankwesen werden die Grundlagen für die Geld- und Finanzwirtschaft späterer Zeiten gelegt, für die Geldschöpfung durch die Vergabe von Krediten, wie sie auch im 21. Jahrhundert die Zentralbanken durchführen.
Passend zu seiner Vielfalt wird das Mittelalter heute nicht nur besonders oft als Grundlage für Fantasy-Romane und Computerspiele verwendet, sondern auch im Rahmen von Ritterspielen und Mittelaltermärkten inszeniert. Dabei wirken manche Zeitgenossen, wenn sie mit dem Auto anreisen und in ihre Ritterrüstung schlüpfen, um die Alltagssorgen abzustreifen, komisch.
KAPITEL SIEBEN
Reformpädagogik und Realsozialismus
Das nicht-europäische Mittelalter – Varianten des Fortschritts von Amerika bis Australien
Zu den wenigen lustigen Aufzeichnungen aus der Zeit des Kolonialismus ab dem 16. Jahrhundert zählen solche, in denen sich Indianer darüber wundern, dass sich die weißen Eroberer »in Eisen kleiden«, auf »schwimmenden Inseln« reisen, »Knochen essen«, »Blut trinken« und insgesamt wie Tiere sind. Der Durst nach Blut ist hier nicht metaphorisch gemeint – der rote Saft ist in Wahrheit Rotwein; die Knochen sind Zwieback, den die Europäer als Proviant auf ihren schwerfälligen Segelschiffen haben, welche den Indianern wie schwimmende Inseln erscheinen. Das Eisenkleid sind Brustpanzer und Helme, das Tierische die Gesichtsbehaarung der Europäer und ihre insgesamt mangelhafte Körperpflege.
Derartige Berichte erinnern daran, wie subjektiv gefärbt der Blick auf andere Kulturen sein kann und dass die europäische Kultur im Vergleich zu jener anderer Weltteile im Lauf der Geschichte oft archaisch wirkte. Wenn heute in historischen Überblicksdarstellungen von der Neuen Welt in Nord- und Südamerika oder von Afrika und Asien die Rede ist, dann meist in den Kapiteln über das Zeitalter der neuzeitlichen Entdecker. Das ist insofern schlüssig, als es vorher keine oder kaum Kontakte zu Europa gibt und somit wenig Dokumentation. Doch hat man inzwischen dank der Ethnografie und Archäologie, des Studiums auch älterer Quellen Informationen über die Jahrhunderte vor der Entdeckung Amerikas im Jahr 1492.
Für die Zeit des Mittelalters lohnt sich ein vergleichender Blick von Europa aus auf Kulturen in Amerika, Afrika und Australien unter anderem deshalb, weil man sich so beispielhaft vergegenwärtigen kann, wie relativ die Vorstellung ist, die man etwa vom Fortschritt hat – und das schon Jahrhunderte, bevor der Begriff im 18. Jahrhundert seine heutige Bedeutung bekommt. Insgesamt lassen sich für Zeiten, bevor tatsächlich Kontakte bestehen, Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen den Kontinenten auf besonders eingängige Weise herausstellen.
Überragende Militärtechnik und schwerfällige Bürokratie: die Mongolen und die Osmanen
Beginnen kann man den Überblick über das nicht-europäische Mittelalter allerdings mit zwei Kulturen, die fremd wirken, obwohl es schon lange vor dem Zeitalter der Entdecker Kontakte zum europäischen Kontinent gibt: den Osmanen und Mongolen. Zu Zeiten der Mongolenherrschaft in China im 13. Jahrhundert schicken Papst Innozenz IV. und der französische König Ludwig IX., der Heilige, sogar den Franziskanermönch Wilhelm von Rubruk auf eine Mission an den Hof des Großkhans. Rubruk soll missionieren und ein Bündnis gegen die Muslime aushandeln, was allerdings misslingt. Die nomadischen Mongolen, die im 13. Jahrhundert unter Dschingis Khan (um 1162 – 1227) ein Weltreich gründen, sind neben den Hunnen vielleicht das zweite historische Beispiel dafür, wie ein Volk zwar Großreiche wie China erobert und Indien, Persien, das heutige Russland und Teile Osteuropas dominiert, aber keine eigene Hochkultur entwickelt.
Bild 2
Der mongolische Reiter schießt auf dem Pferd sitzend in alle Richtungen seine Pfeile ab. Das Motiv ist zum Sinnbild für die kriegerische Kultur des Steppenvolkes geworden – hier in einer persischen Buchmalerei aus dem 15. Jahrhundert.
Einerseits werden die von Dschingis Khan geeinigten Mongolenstämme nach ihrem Sieg gegen die mörderischen Assassinen, eine extremistische islamische Sekte, Mitte des 13. Jahrhunderts von vielen Persern als Befreier gesehen. Andererseits schreibt ein persischer Dichter über die Mongolen: »Ihre Augen waren so eng und stechend, dass sie damit ein Loch in ein Gefäß aus Messing hätten bohren
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