Was bisher geschah
der Kunstszene des 21. Jahrhunderts oft einem routinierten Rollenspiel gleicht und nur noch eine untergeordnete Bedeutung hat, ist in der Renaissance noch eine gesellschaftspolitisch wichtige Angelegenheit: Der bildende Künstler besticht durch Innovation, demonstriert Mut und führt unkonventionelles Denken vor; manchmal gibt er sogar den Muster-Unternehmer, der trickreich am Markt agiert und selbst wenig Wertvolles und Funktionsfähiges für hohe Preise verkauft. Damit kann er Achtung in den höchsten Kreisen erringen. So schreibt Giorgio Vasari, der Vater der Kunstgeschichte, in seinen Lebensläufen der berühmtesten Maler, Bildhauer und Architekten (1550) über Leonardos Hauptkonkurrenten Michelangelo: Der Papst »schlug mit seinem Stock nach dem Bischof und schrie: ›Der Ignorant bist du, dass du dem Mann [Michelangelo] Grobheiten sagst, wie Wir sie ihm nicht sagen!‹« In Zeiten, in denen Kritik nur Autoritätspersonen zusteht – was im Übrigen bis ins 18. Jahrhundert hinein gilt -, prügelt der Papst den Bischof, weil der sich Kritik am »göttlichen« Michelangelo anmaßt, welcher sich einzigartige Freiheiten selbst gegenüber seiner Heiligkeit herausnehmen darf. Als Vater der Kunstgeschichte ist Vasari auch der Vater des Starporträts, das vor Übertreibungen und erfundenen Passagen strotzt, dabei aber das Wesen seiner Zeit erfasst.
Zensur und Vielschreiber – und eine Monarchen-Geißel
Am Siegeszug der Künstler kann auch das real existierende Utopia nichts ändern, das der Bußprediger Girolamo Savonarola (1452 – 1498) während der vorübergehenden Vertreibung der Medici in Florenz gründet. In Savonarolas Gottesstaat müssen Frauen ihre Brüste, die sie – für heutige Verhältnisse recht freizügig – gerade noch neuplatonisch locker von weiten Dekolletees umrahmt zur Schau tragen konnten, verhüllen; Gemälde, Schminke, Musikinstrumente und Brettspiele landen auf dem Scheiterhaufen. Allerdings bringt Savonarola sowohl den Papst als auch die alten Florentiner Familien gegen sich auf und wird am Schluss verbrannt.
Wie gewieft man in Zeiten der Repression, politischer Morde und päpstlicher Zensur nicht nur in der Politik, sondern auch in der Kulturszene vorgehen muss, zeigt ein Blick auf den neuen Beruf der poligrafi , der Vielschreiber. Als freiberufliche Publizisten leben sie nicht mehr nur wie früher von Auftragsarbeiten für Fürsten, sie bieten ihre Produkte selbst auf dem freien Markt an. Ein exemplarischer Fall des poligrafo ist der heute weniger bekannte, damals aber berühmte Schriftsteller Pietro Aretino (1492 – 1556). Er schreibt peppige Heiligenviten, aber auch pornografische Gedichte und darf vor allem als erster Klatschreporter und Kunstkritiker im heutigen Sinn gelten. Er verkörpert beispielhaft und auf unterhaltsame Weise eine der größten gesellschaftlichen Revolutionen der Neuzeit – die Betonung eines neuen individuell ausgeprägten Selbstbewusstseins und einer ansatzweise freien Meinungsäußerung. Als »Monarchen-Geißel«, wie ihn Ariost in seinem Epos Orlando furioso nennt, wird Aretino von Päpsten, aber auch von Kaiser Karl V. und König Franz I. sowie Bankiers wie Agostino Chigi fürstlich dafür entlohnt, dass er sie nicht angreife, sondern preise. Er steigt vom Schustersohn zum europaweit berüchtigten Pionier der Publizistik auf.
Als das Konklave nach dem Tod Leos X. im Dezember 1521 und Januar 1522 tagt, finden sich jeden Morgen Botschaften über die Papstwahlkandidaten an einem Torso nahe der Piazza Navona, die dort nachts angebracht werden. In einer Reihe von Prosatexten und Spottgedichten, die wie eine Boulevardzeitung täglich frisch auf den Straßen Roms erscheinen, informiert Aretino Passanten über die Laster der Kardinäle, ihre Gelage, ihre Kurtisanen und Lustknaben. Vor allem aber schafft Aretino mit insgesamt rund 3000 Briefen, die er an prominente Adressaten verschickt und zugleich in Abschriften und Drucken veröffentlicht, hundert Jahre vor der Publikation der ersten Tageszeitung eine Vorform des (Feuilleton-)Artikels.
Kulturhistorisch aufschlussreich ist Aretinos Buch Kurtisanengespräche . Es gewährt Einblicke in das Leben von Kurtisanen, aber auch Ehefrauen und Nonnen – und verrät etwas über den damaligen Umgang mit Bildern. Bei der Betrachtung einer Reproduktion von Michelangelos Sixtinischem Deckenfresko (1512), das Sex zwischen Adam und Eva andeutet, seufzt eine junge Nonne auf: Zwischen ihr und anderen, älteren Nonnen
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