Was bisher geschah
niedergeschlagen. Von nun an ähneln sie zunehmend Marionetten des Königs beziehungsweise den eher steifen Figuren aus den klassischen Dramen der Zeitgenossen Pierre Corneille und Jean Racine oder lächerlichen Typen in Jean-Baptiste Molières Komödien. Aber eigentlich ist das ganze Hofleben eine Art Staatstheater. Vom morgendlichen Lever (franz. »aufstehen, sich erheben, Aufgehen der Sonne«) bis zum abendlichen Schlafengehen ist alles exakt festgelegt: welcher Verwandte, Fürst oder Kammerdiener dem König wann sein vorgewärmtes Hemd und die bis zu einem Kilo schwere Perücke reicht, wer sich wann verneigt und den Sonnenkönig in weitschweifigen Komplimenten mit Apoll oder Herkules vergleicht.
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Gar nicht strahlend wirkt hier der gealterte Sonnenkönig Ludwig XIV. als Wachsrelief von Antoine Benoist (1706). Auch die echte Perücke, die in das Werk eingearbeitet wurde, sieht nicht sehr elegant aus.
Kurioserweise markiert das exakt geregelte Staatstheater um den Sonnenkönig den fließenden Übergang von der mittelalterlichen Vorstellung, wonach der Staat göttlich legitimiert ist, hin zur Idee, dass er gemäß naturwissenschaftlichmechanischen Gesetzen funktioniert. Etwa jenen, die René Descartes oder Isaac Newton (1643 – 1727) erforschen und formulieren. Letzterer widmet sich als Mathematiker und Theoretiker der Gravitation und der Bewegung von Himmelskörpern, dem absoluten Raum und der absoluten Zeit, die im Gegensatz zu den vielfältigen Räumen und Zeitzonen des Mittelalters stehen (Erde, Himmel, Hölle; kurzes Erdenleben vs. ewige Verdammnis usw.). Descartes’ Satz »Ich denke, also bin ich« ist das philosophische Gegenstück zu dem Ausspruch, den Ludwig angeblich tat: »Der Staat bin ich.«
Die besondere Betonung des Staates als Subjekt und repräsentative Autorität prägt Frankreich bis heute. Ludwig XIV. schafft ein stehendes Heer, lässt von Sébastien Le Prestre de Vauban Festungen mit gestaffelten Mauern bauen, die bis ins 19. Jahrhundert als uneinnehmbar gelten. Er verbessert die Infrastruktur mit Straßen und Kanälen wie dem Canal du Midi von Toulouse zum Mittelmeer, einer der herausragenden Ingenieursleistungen der Zeit. Ludwig organisiert einen effizienten Beamtenapparat aus bürgerlichen Fachleuten, die motiviert sind, aber auch einfacher zu entlassen als der Adel. Zwar wird der Einfluss der Kirche offiziell erst mit der Französischen Revolution minimiert. Doch findet sie sich insofern schon unter Ludwig XIV. etwas zurückgedrängt, als er mehr Schlösser als Kirchen baut und als Sonnengott auftritt.
Ganz direkt bekämpft und unterdrückt der Katholik Ludwig den katholischen Jansenismus und dessen introvertierte Frömmigkeit. Sein berühmter Vertreter Blaise Pascal (1623 – 1662) arbeitet sich wie so viele Zeitgenossen am Widerspruch zwischen Logik und Glaube ab, zwischen Nichtigkeit und Geistesgröße des Menschen, dem »denkenden Schilfrohr«. Als Mathematiker und Tüftler an der Rechenmaschine betont er letztlich die »Gründe des Herzens« jenseits der Vernunft. Stärkere Auswirkungen als Ludwigs Repressalien gegen die Jansenisten hat seine Aufhebung des Edikts von Nantes im Jahr 1685, das den Hugenotten Schutz und Religionsfreiheit gewährt hatte. Dass sie daraufhin nach England, Holland und Deutschland auswandern, bedeutet für Frankreich einen brain drain , einen Verlust an Können, Wissen und protestantischer Leistungsbereitschaft.
Das fällt zunächst auch deshalb nicht so sehr ins Gewicht, weil Ludwig in Zusammenarbeit mit seinem Minister Colbert das System des Merkantilismus ausbaut. Dabei sorgt der Staat durch billige Kredite und Steuervorteile dafür, dass etwa Manufakturen, die Vorform der Fabrik mit rationalisierten Produktionsabläufen, hochwertige Waren wie Seide und Kutschen fertigen. Diese Erfindung und ein durch Schutzzölle flankierter Export bringen das, was man heute eine positive Handelsbilanz nennt. In diesem Fall fließt ein großer Teil der Einnahmen direkt an den Staat.
Das Problem ist aber, dass Ludwig den dritten Stand (tiers état) , vor allem Bürger und Bauern, mit Steuern brutal auspresst und verelenden lässt; so sät er die Saat der Französischen Revolution. Zudem führt er unter dem fadenscheinigen Vorwand entfernter Verwandtschaftsbeziehungen und Erbansprüche in ganz Europa Eroberungskriege. Seine Armeen marschieren nach Holland und Deutschland, nehmen Straßburg ein, verwüsten ganze Landstriche in der Pfalz. Im Spanischen
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