Was bleibt: Kerngedanken (German Edition)
Ehebruch war, ob direkt ein Meineid, ob geradezu Mord …! Und wenn auch Ehebruch gesetzlich verboten ist, so doch nicht alles, was dazu führt. Und wenn schon Meineid, so doch nicht alle harmloseren Formen der Unwahrhaftigkeit. Und wenn schon Mord, so doch nicht alle böswilligen Gedanken, die bekanntlich zollfrei sind. Was ich bei mir selber, was ich in meinem Herzen denke, begehre, möchte, ist meine Sache.
Und ebenfalls läßt sich leicht begreifen, warum so viele Menschen sich auch im Blick auf Gott selbst lieber an ein Gesetz halten: Weiß ich auf diese Weise doch genau, wann ich meine Pflicht getan habe. Bei entsprechender Leistung darf ich auch mit entsprechender Belohnung rechnen. Und falls ich mehr als meine Pflicht getan habe, mit einer Spezialvergütung. Auf diese Weise lassen sich meine Verdienste und Verschuldungen gerecht verrechnen, moralische Minuspunkte durch überschüssige Sonderleistungen einholen und letztlich vielleicht die Strafen durch den Lohn aufheben. Das ist eine klare Rechnung, und man weiß, woran man ist mit seinem Gott.
Aber gerade dieser gesetzlichen Haltung gibt Jesus den Todesstoß .
Nicht auf das Gesetz selbst, wohl aber auf die Gesetzlichkeit, von der das Gesetz freizuhalten ist, zielt er. Auf den Kompromiß , der diese Gesetzesfrömmigkeit kennzeichnet. Die den Menschen abschirmende Mauer, deren eine Seite Gottes Gesetz ist und deren andere des Menschen gesetzliche Leistungen, durchbricht er. Er läßt den Menschen nicht sich hinter dem Gesetz in Gesetzlichkeit verschanzen und schlägt ihm seine Verdienste aus den Händen. Den Buchstaben des Gesetzes mißt er am Willen Gottes selbst und stellt den Menschen damit in befreiender und beglückender Weise unmittelbar vor Gott. Nicht in einem kodifizierten Rechtsverhältnis steht der Mensch zu Gott, bei dem er sein eigenes Selbst heraushalten kann. Nicht einfach dem Gesetz, sondern Gott selber soll er sich stellen: dem nämlich, was Gott ganz persönlich von ihm will.
Deshalb verzichtet Jesus darauf, gelehrt über Gott zu reden, allgemeine, allumfassende moralische Prinzipien zu proklamieren, dem Menschen ein neues System beizubringen. Er gibt nicht Anweisungen für alle Gebiete des Lebens. Jesus ist kein Gesetzgeber und will auch keiner sein. Er verpflichtet weder neu auf die alte Gesetzesordnung, noch gibt er ein neues Gesetz, das alle Lebensbereiche umfaßt. Er verfaßt weder eine Moraltheologie noch einen Verhaltenskodex. Er erläßt weder sittliche noch rituelle Anordnungen, wie der Mensch beten, fasten, die heiligen Zeiten und Orte beachten soll. Selbst das Vaterunser, vom ältesten Evangelisten überhaupt nicht überliefert, ist nicht in einem einzigen verbindlichen Wortlaut, sondern bei Lukas (wohl ursprünglich) und Mattäus in verschiedenen Fassungen wiedergegeben; nicht auf wörtliches Nachbeten kommt es Jesus an. Und gerade das Liebesgebot soll nicht ein neues Gesetz sein.
Vielmehr: Ganz konkret zugreifend, fern aller Kasuistik und Gesetzlichkeit, unkonventionell und treffsicher ruft Jesus den Einzelnen zum Gehorsam gegen Gott auf, der das ganze Leben umfassen soll. Einfache, durchsichtige, befreiende Appelle, die auf Autoritäts- und Traditionsargumente verzichten, aber Beispiele, Zeichen, Symptome für das veränderte Leben angeben. Große helfende, oft überspitzt formulierte Weisungen ohne alles Wenn und Aber: Bringt dich dein Auge zu Fall, so reiße es aus! Deine Rede sei ja, ja und nein, nein! Versöhne dich zuerst mit deinem Bruder! Die Anwendung auf sein Leben hat jeder selbst zu vollziehen.
Der Sinn der Bergpredigt
Auf das radikale Ernstnehmen des Willens Gottes zielt die Bergpredigt , in der Mattäus und Lukas die ethischen Forderungen Jesu – kurze Sprüche und Spruchgruppen hauptsächlich aus der Logienquelle Q – gesammelt haben. Sie hat Christen und Nichtchristen – die Jakobiner der Revolution und den Sozialisten Kautsky ebenso wie Tolstoi und Albert Schweitzer – immer wieder neu herausgefordert.
Dies ist der Generalnenner der Bergpredigt: Gottes Wille geschehe ! Eine herausfordernde Botschaft:
Mit der Relativierung des Willens Gottes ist es vorbei. Keine fromme Schwärmerei, keine reine Innerlichkeit, sondern der Gehorsam der Gesinnung und der Tat. Der Mensch selbst steht in Verantwortung vor dem nahen, kommenden Gott. Nur durch das entschlossene, rückhaltlose Tun des Willens Gottes wird der Mensch der Verheißungen des Reiches Gottes teilhaftig. Gottes befreiende Forderung aber ist radikal.
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