Was bleibt: Kerngedanken (German Edition)
Schwierigkeiten der immer wieder auftauchenden Idee einer Universalsprache (von R. Llull und Leibniz bis zu heutigen theoretisch-formalen oder auch esperanto-ähnlichen materialen Versuchen). Hier auch die Grenzen einer toten Sprache, für die man eine Universalität beansprucht, die weithin durch Unverständlichkeit erkauft wird (die Übersetzung der lateinischen Liturgie in die Volkssprache zeigt, daß eine Übersetzung nicht ausreicht).
Und selbst unser einfaches theologisches Satzexempel »Gott existiert«, das in unseren gewohnten Sprachen leicht zu übersetzen ist, bietet immer wieder ungeahnte Schwierigkeiten, wenn es außerhalb des europäisch-amerikanischen Kulturraumes in bestimmte Sprachen Asiens oder Afrikas übersetzt werden soll, wo entsprechende Worte schon anders besetzt sind und der Inanspruchnahme für eine Übersetzung trotzen.
4. Sätze sind in Bewegung: Meine Sprache ist nicht nur meine Sprache. Sprache geschieht in Kommunikation. Sprache geschieht als Gespräch. Worte aber gibt man nicht weiter wie Ziegelsteine, aus dem einfachen Grund, weil sie nicht Stein, sondern Geist sind. Sprache ist kein statisches Gebilde, sondern dynamisches Ereignis, eingebettet in den Fluß der gesamten Geschichte von Mensch und Welt. Eine Sprache, die sich nicht verändert, stirbt ab zur toten Sprache. In einer lebendigen Sprache jedoch nehmen Worte und Sätze neue Impulse auf und geben auch neue Impulse ab. Worte und Sätze können in einer neuen Situation ihren Sinn völlig verändern. Umgekehrt können aber auch Worte und Sätze ihrerseits eine Situation völlig verändern; gibt es doch Worte, die Geschichte machen. So ist die Sprache immer auf dem Weg zur Wirklichkeit, ein Grundphänomen der Geschichtlichkeit des Menschen.
Und auch der Satz »Gott existiert« ist ein geschichtlicher Satz: anders verstanden von einem Griechen der perikleischen oder einem Juden der makkabäischen Zeit, anders von einem frühen hellenistischen Christen oder einem christlichen Franken, anders aber auch von einem mittelalterlichen Scholastiker oder einem romantischen Neuscholastiker des 19. Jahrhunderts, anders von Luther, von einem Vertreter der lutherischen Orthodoxie oder von einem Lutheraner des 20. Jahrhunderts …
5. Sätze sind ideologieanfällig: Worte und Sätze stehen zu Diensten. Sie können benützt, abgenützt und ausgenützt werden: zum Zweck der Reklame, der Propaganda, des Jargons, auch zu frommen Zwecken. Worte und Sätze sind dann einer Herrschaft unterworfen, die sie kaum noch abschütteln können: werden ganz, ausschließlich von einer bestimmten Idee, einer bestimmten Ideologie, einem bestimmten System in Beschlag genommen, so daß sie unter Umständen das Gegenteil von dem sagen müssen, was sie ursprünglich meinten (»Demokratie«, »Freiheit«, »Ordnung«). Sie werden verdreht. Oder gar verdorben: kaum mehr zu gebrauchen, leere Hülsen ohne Inhalt. Es kann zu einem eigentlichen Sprachverfall kommen.
Auch der Satz »Gott existiert« ist ideologieanfällig: Mit Berufung auf diesen Satz (oder ähnlich: »Gott mit uns!«) wurden Kriege geführt, wurden Arme vertröstet und unschuldige Menschen schikaniert und getötet. Der Satz kann mißbraucht werden von rechts und von links; konservative Ideologen des Status quo können ihn ebensosehr verdrehen wie schwärmerische Ideologen der Revolution. Oft hätte man besser von Gott geschwiegen.
Diese fünf Anmerkungen dürften für unsere Zwecke genügen, um die Problematik von Sätzen konkret deutlich zu machen. Und um dabei selbst Mißverständnisse soweit als möglich auszuschalten: Wir meinen nicht, daß Sätze Wahrheit nicht auszusagen vermögen, daß alle Sätze gleich wahr und falsch sind, daß sie nicht an der Wirklichkeit gemessen werden können, die auszusagen sie beanspruchen, daß Verständigung unmöglich ist. Wir meinen nur, daß Sätze keineswegs so klar sind, wie sie klar scheinen, daß sie vielmehr grundsätzlich vieldeutig sind und folglich von verschiedenen verschieden verstanden werden können, daß alle Mißverständnisse und Mißbräuche bei bestem Willen nicht von vornherein ausgeschaltet werden können. …
Der rationalistische Ursprung des Erkenntnisideals von klaren Sätzen
Es ist kein Zweifel, daß auf dem Vatikanum I sehr viel intensiver als etwa auf dem Konzil von Trient die Tendenz sichtbar wird, nicht nur auf bestimmte Angriffe der Gegner bestimmt zu antworten, sondern darüber hinaus … eine Generalbereinigung anzustreben
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