Was bleibt: Kerngedanken (German Edition)
und zugleich möglichst grundsätzlich die offizielle kirchliche Lehre zu klären. Schon die Konstitution des Vatikanum I über den katholischen Glauben zeigt solche Züge, auch wenn sie zusammen mit der Konstitution über den Papst (ihrerseits nur der kleinste Teil der geplanten Konstitution über die Kirche) das einzige Schema blieb, das verabschiedet werden konnte. Wie viele Schemata aber waren von der kurialen Kommission vorbereitet und von der Zentralkommission vor dem Konzil als diskussionsreif bezeichnet worden? Die schöne Zahl von sechsundvierzig Schemata, von denen nur sieben überhaupt zur Diskussion auf dem Konzil gelangt sind, ohne allerdings, abgesehen von den zwei genannten Ausnahmen, verabschiedet zu werden. Bemerkenswert in diesem Zusammenhang einer umfassenden Klärung des Glaubens ist auch der auf dem Konzil lang diskutierte Vorstoß der Kurie für einen die ganze Kirche verpflichtenden Universalkatechismus. …
Es ist auch kein Zweifel, daß die kurialen Vorbereitungskommissionen des Vatikanum II weithin in derselben Richtung arbeiteten. Was dem Vatikanum I mißlungen war, sollte jetzt gelingen (man denke an die kurz vor dem Vatikanum II »gelungene« römische Diözesansynode): In Dogmatik und Moraltheologie wurde von den Grundlagen her eine weit ausholende systematische Klärung angestrebt und in Schemata vorbereitet. Und von prominenten Mitgliedern der theologischen Vorbereitungskommission konnte man vor dem Konzil hören, es müßten jetzt endlich die früher noch nicht geklärten Fragen von der Schöpfungslehre bis zur Eschatologie definitiv entschieden werden, damit in der katholischen Kirche endlich Gewißheit darüber bestünde, woran man sich zu halten habe, womit zweifellos die klaren Schulthesen der Neuscholastik gemeint waren. …
Zwischen Scholastik und Neuscholastik, zwischen Thomas und Neuthomismus steht – Descartes. Descartes bedeutet nicht nur insofern einen Einschnitt, als man seit ihm die philosophische Tradition des Mittelalters in der neuzeitlichen Philosophie weithin vergessen hat. Descartes und nicht Thomas von Aquin ist es gewesen, der die Klarheit als Erkenntnisideal aufgestellt hat! Die berühmte Forderung Descartes, der im Gegensatz zu Thomas die sprachphilosophische Problematik ignorierte, nach klarer und deutlicher Erkenntnis aus den »Principia philosophiae« soll nicht unzitiert bleiben : »Sehr viele Menschen erfassen in ihrem ganzen Leben überhaupt nichts so richtig, daß sie ein sicheres Urteil darüber fällen könnten. Denn zu einer Erkenntnis ( perceptio ), auf die ein sicheres und unzweifelhaftes Urteil gestützt werden kann, gehört nicht bloß Klarheit, sondern auch Deutlichkeit. Klar ( clara ) nenne ich die Erkenntnis, welche dem aufmerkenden Geiste gegenwärtig und offenkundig ist, wie man das klar gesehen nennt, was dem schauenden Auge gegenwärtig ist und dasselbe hinreichend kräftig und offenkundig erregt. Deutlich ( distincta ) nenne ich aber die Erkenntnis, welche, bei vorauszusetzender Stufe der Klarheit, von allen übrigen so getrennt und unterschieden ( seiuncta et praecisa ) ist, daß sie gar keine anderen als klare Merkmale in sich enthält.«
Dem gesunden Menschenverstand leuchtet das ein, so wie eben im Grunde auch die von Descartes übernommene ältere Abbildungstheorie einleuchtet, welche die Erkenntnis naiv als Abbildung versteht. Aber gerade dies ist keineswegs klar. Und man hat denn auch in der Folge gegen Descartes ins Feld geführt, daß eine solche Klarheit des Objekts nicht einfach verfügbar sei. Eine solche Forderung nach Klarheit setzt tatsächlich voraus, daß die Objekte selbst sich einem solchen Anspruch von Klarheit und Deutlichkeit fügen, daß sie im Grunde so unbeweglich statisch sind, daß sie das Auge schlicht festhalten kann, so statisch, wie im Grunde nur Zahlen und geometrische Figuren sind. …
Die Kosten eines solchen Verfahrens sind indessen nicht gering: Nur wenn man nämlich den Gegenstand der Erkenntnis zurechtstutzt (auch räumliche Gegenstände lassen sich schließlich auf geometrische Figuren zurechtstutzen), wird die geforderte Norm der Klarheit erfüllt. Dagegen hatten jedoch schon Leibniz und Kant darauf aufmerksam gemacht, daß die konkrete Erkenntnis reicher ist, daß Klarheit und Unklarheit keineswegs so unzweideutig geschieden werden können, daß es vielmehr einen kontinuierlichen Übergang von der Dunkelheit bis zur Klarheit der Vorstellung mit unendlich vielen Graden und Stufen
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