Was bleibt: Kerngedanken (German Edition)
bezug auf die Fragen nach dem großen Woher und Wohin, Warum und Wozu des Menschen und der Welt meine geistige Heimat habe, der ich ebensowenig den Rücken zukehren möchte wie im politischen Bereich der Demokratie, die auf ihre Weise nicht weniger als die Kirche mißbraucht und geschändet wird.
Selbstverständlich: es gibt auch die andere Möglichkeit. Und ich habe gute Freunde, die sie gewählt haben: Bruch mit dieser Kirche wegen ihres Abfalls um höherer Werte willen, vielleicht um eines echten Christseins willen. Es gibt Christen – und, als vielleicht kurzlebige Grenzfälle, auch Christengruppen – außerhalb der Institution Kirche. Ich achte einen solchen Entscheid, verstehe ihn sogar. In der Phase des gegenwärtigen Tiefs in der katholischen Kirche (nach der konziliaren Hochstimmung unter Johannes XXIII. ) mehr denn je. Und so viele Gründe für den Exodus wie sie, die gegangen sind, könnte ich gewiß auch namhaft machen. Und doch: Der Sprung vom Boot – für jene ein Akt der Ehrlichkeit, des Mutes, des Protestes oder auch einfach der Not und des Überdrusses – wäre für mich persönlich ein Akt des Verzagens, des Versagens, der Kapitulation. Dabeigewesen in besseren Stunden, sollte ich das Boot im Sturm aufgeben und das Stemmen gegen den Wind, das Wasserschöpfen und eventuell den Kampf ums Überleben den anderen überlassen, mit denen ich bisher gesegelt habe? Zu viel habe ich in der Glaubensgemeinschaft empfangen, als daß ich hier so einfach aussteigen könnte. Zu viel habe ich mich selbst für die Veränderung und Erneuerung engagiert, als daß ich je die enttäuschen dürfte, die sich mit mir engagiert haben. Diese Freude möchte ich den Gegnern der Erneuerung nicht machen, diesen Kummer den Freunden nicht bereiten. Auf die Effizienz in der Kirche werde ich nicht verzichten. Die Alternativen – andere Kirche, ohne Kirche – überzeugen mich nicht: Ausbrüche führen zur Vereinzelung des einzelnen oder aber zu neuer Institutionalisierung. Alles Schwärmertum beweist dies. Ich halte nichts von elitärem Christentum, das besser sein will als die vielen da, und nichts von Kirchenutopien, die mit einer Idealgemeinschaft von reinen Gleichgesinnten rechnen. Sollte es da nicht in dieser konkreten Menschenkirche, wo ich wenigstens weiß, mit wem ich es zu tun habe, spannender, herausfordernder und in allem Durchleiden letztlich doch auch erfreulicher und fruchtbarer sein, den Kampf für ein »Christentum mit menschlichem Antlitz« zu kämpfen? Eine ständig neue Aufforderung zur Verantwortung, zu aktivem Einsatz, zu hartnäckiger Ausdauer, zu gelebter Freiheit, zum Widerstand in Loyalität.
Kirche als Sachwalterin Jesu Christi
Und nachdem nun heute durch offenkundiges Versagen der Leitung die Autorität, Einheit, Glaubwürdigkeit dieser Kirche vielfach erschüttert ist und sie sich immer mehr als die schwache, irrende, suchende zeigt, geht mir der Satz eher über die Lippen als in triumphaleren Zeiten: Ich liebe diese Kirche – so wie sie nun einmal ist und wie sie sein könnte. Nicht als »Mutter«, sondern als die Glaubensfamilie, um derentwillen die Institutionen, Konstitutionen, Autoritäten überhaupt da sind und manchmal auch einfach in Kauf genommen werden müssen. Eine Glaubensgemeinschaft, die auch heute noch trotz aller ihrer erschreckenden Defekte unter den Menschen nicht nur Wunden zu reißen, sondern noch immer Wunder zu wirken vermag: dort nämlich, wo sie »funktioniert«, wo sie nicht nur faktisch – und dies ist auch schon etwas – Ort der Erinnerung an Jesus ist, sondern wo sie wahrhaftig in Wort und Tat die Sache Jesu Christi vertritt. Und das tut sie nun doch zumindest auch , allerdings mehr in der kleinen als in der großen Öffentlichkeit, mehr wohl durch die geringen Leute als durch die Hierarchen und Theologen. Aber es geschieht, täglich, stündlich, durch die Zeugen des Alltags, die als Christen die Kirche in der Welt präsent machen. Und so wäre dies meine entscheidende Antwort: Ich bleibe in der Kirche, weil mich die Sache Jesu Christi überzeugt hat und weil die Kirchengemeinschaft trotz und in allem Versagen doch Sachwalterin Jesu Christi geblieben ist und es auch bleiben soll.
Mein Christentum habe ich so wenig wie die anderen, die sich Christen nennen, aus den Büchern, nicht einmal aus dem Bibelbuch. Ich habe es von dieser Glaubensgemeinschaft, die sich durch zwanzig Jahrhunderte leidlich durchgehalten hat und die immer wieder schlecht und recht Glauben an Jesus
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