Was bleibt: Kerngedanken (German Edition)
Der Arzt hat bezüglich seiner Bedingungen ein Protokoll anzulegen (nach dem neuen niederländischen Gesetz muß vom Arzt ein Bericht an die Staatsanwaltschaft gerichtet werden, die ihrerseits aber auf Strafverfolgung normalerweise verzichtet).
Doch ist es in erster Linie Sache der Ärzte und der Juristen, die konkreten Richtlinien zur Behebung der offensichtlichen Rechtsunsicherheit zu erarbeiten. Das Beispiel Holland zeigt, daß dies geht. Klare gesetzliche Richtlinien für den Umgang mit dem Euthanasieproblem könnten auch in Deutschland die existentiellen Ängste so vieler Menschen abbauen und manche Gewissenskonflikte von Ärzten vermeiden helfen. Warum soll der elementare Grundsatz, daß dem Menschen ein Selbstbestimmungsrecht auch im Sterben zukommt, nicht gesetzlich festgeschrieben werden? Oder soll man vielleicht einen rechtsfreien Raum wünschen gerade für die letzte Lebensetappe des Menschen, in welcher buchstäblich und höchstpersönlich »Sein oder Nichtsein« eines Menschen auf dem Spiel steht?
Nein, eine gesetzliche Festlegung der Verantwortlichkeiten (bezüglich Tötung auf Verlangen, Hilfe zur Selbsttötung und Tötung ohne ausdrücklichen Wunsch des Betroffenen) scheint mir ethisch und juristisch konsequenter und angesichts der erheblichen Dunkelziffern wahrhaftiger als der Rekurs auf einen höchst vagen »übergesetzlichen Notstand«, in dem man »im Einzelfall« die aktive Sterbehilfe »tolerieren« will. Der Patient wäre ja gerade dann, wenn seine Hilflosigkeit am größten ist, der eigenmächtigen Entscheidung des Arztes und möglicherweise unerträglichem Leiden ausgeliefert. Das Sterben kann aber keinesfalls zum Freiraum ärztlichen Ermessens erklärt werden, wie manche Ärzte wünschen und einzelne Gerichtsentscheide vorauszusetzen scheinen. Wenn es schon um den »Kopf« des Patienten (und nicht des Arztes) geht, kann der Arzt nicht wohlmeinend »über den Kopf des Patienten hinweg« entscheiden, »wohlmeinend« zwar, aber möglicherweise von überkommenen, nicht kritisch genug reflektierten Denkmustern und Glaubensvorstellungen her geprägt. Zur gesetzlichen Regelung im Dienst der Rechtsklarheit gehört auch die eindeutig dokumentierte Patientenverfügung. Diese soll – Beispiel auch die Schweiz – in völliger Freiwilligkeit und unter zahlreichen Absicherungen gegen Mißbrauch geschützt erfolgen, aber dann vom Arzt, dem so ein Gewissenskonflikt erspart wird, unbedingt respektiert werden, wenn ihr der tatsächliche aktuelle Wille des Patienten nicht nachweisbar entgegensteht.
Und man bedenke auch dies: Gefahrenbeschwörung ist noch keine Widerlegung der Sache. Nach allem, was ich im Verlauf eines Theologenlebens in Sachen Ablehnung der Empfängnisverhütung erleben mußte, können mich Beschwörungen eines angeblichen Dammbruchs oder einer schiefen Ebene nicht mehr beeindrucken. Gewiß gibt es langfristige Schutzinteressen der Allgemeinheit, aber es gibt auch unübersehbar die erdrückende Sterbensnot des einzelnen. Gewiß ist das anempfohlene »Leben mit dem Krebs« eine Zeitlang möglich, aber es kann in bestimmten Fällen völlig unerträglich werden. Und da sollte man doch nicht immer wieder behaupten, wie das besonders Theologen, aber auch manche Ärzte tun: Im Grunde gäbe es kaum Menschen, die wirklich zu sterben wünschten; mit ihrem Sterbewunsch teilten sie nur »verhüllt« den Wunsch nach besserer Pflege und menschlicher Zuwendung mit, so daß sie »ein wörtliches Verständnis der Euthanasiebitte … nur enttäuschen« könnte. Ohnehin könne die Medizin heute pharmakologisch alles tun, damit der Wunsch nach Abbruch erst gar nicht aufkomme.
Aber ist nicht damit der Arzt Herr über Leben und Tod geworden und der Patient entmündigt, wo er seine Gewissensentscheidung ernstgenommen sehen will? Natürlich gibt es augenblickliche depressive Stimmungen und Fälle liebloser Pflege und fehlender Besuche. Doch Gegenfrage: Haben nicht auch viele Ärzte Angst vor diesem letzten Wunsch nach aktiver Sterbehilfe? Halten sie nicht deshalb manchmal die notwendige Information zurück und vermeiden das klärende Gespräch von Mensch zu Mensch? Natürlich wird kein Sterbewilliger seinen Sterbewunsch einem für diesen Wunsch verschlossenen Arzt oder Pfarrer offenbaren, dann lieber noch – ich habe es von mehr als einer gehört – der weniger voreingenommenen Krankenschwester, die ihn in seiner Sterbezeit nicht allein läßt …
Gewiß, es gibt angesichts von Todkranken
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