Was bleibt: Kerngedanken (German Edition)
theologisch und christlich verantworteten Weg der Mitte einzutreten: zwischen einem antireligiösen Libertinismus ohne Verantwortung (»unbeschränktes Recht auf Freitod«) und einem reaktionären Rigorismus ohne Mitleid (»auch Unerträgliches ist als gottgegeben gottergeben zu ertragen«). Und ich tue dies, weil ich als Christ und Theologe der Meinung bin: Der allbarmherzige Gott, der dem Menschen Freiheit geschenkt und Verantwortung für sein Leben zugemutet hat, hat gerade auch dem sterbenden Menschen die Verantwortung und Gewissensentscheidung für Art und Zeitpunkt seines Todes überlassen . Eine Verantwortung, die weder der Staat noch die Kirche, weder ein Theologe noch ein Arzt dem Menschen abnehmen kann.
Diese Selbstbestimmung ist kein Akt hybriden Trotzes gegen Gott ; wie sich Gnade Gottes und Freiheit des Menschen nicht ausschließen, so auch nicht Gottes Vorherbestimmung und des Menschen Selbstbestimmung. Selbstbestimmung in diesem Sinn ist Abgrenzung gegenüber anderen Menschen : Wie kein Mensch einen anderen zum Sterben drängen, nötigen oder zwingen darf, so auch keiner zum Weiterleben. Und gibt es denn eine persönlichere Entscheidung als die des Todkranken über die Beendigung oder Nicht-Beendigung seines Leidens? Wenn das ganze Leben von Gott in die Verantwortung eines Menschen gestellt ist, dann gilt diese Verantwortung auch für die letzte Phase seines Lebens, ja, sie gilt erst recht für den eigentlichen Ernstfall seines Lebens: wenn es ans Sterben geht. Warum sollte gerade diese letzte Phase des Lebens von der Verantwortung ausgenommen sein?
Wie sterben?
Kein falscher Trost, wahrhaftig nein! Doch gibt es nicht auch einen echten, wahren Trost? Es gibt nicht nur eine Lebens-, es gibt auch eine Sterbenszeit, und diese soll man nicht künstlich und krampfhaft hinauszögern wollen. »Jedes Ding hat seine Zeit … Geborenwerden hat seine Zeit, und Sterben hat seine Zeit« heißt es bei Kohelet, dem Prediger der Vergänglichkeit. Die Wahrheit in Wahrhaftigkeit – darum geht es mir auch in dieser Frage. Ich wollte hier nichts von oben herab lehramtlich verkünden, sondern nur meinen persönlichen Standpunkt klarmachen. Ich wollte berechtigte Fragen zum Überdenken stellen, welche hoffentlich den anhebenden großen Streit etwas entkrampfen und die bereits sich abzeichnenden Fronten nicht erstarren lassen. Denn nicht zuletzt deswegen nehme ich gerade in diesem Zeitpunkt der eben erst angelaufenen politischen Diskussion Stellung, daß wir in dieser so ernsten Frage zumindest in Deutschland die partei- und kirchenpolitischen Polarisierungen dieses Mal vermeiden sollten, welche die Abtreibungsfrage so sehr fanatisiert haben. Das aber geht nur, wenn wir die Debatte auf ein anderes Niveau heben. Auf ein anderes Niveau?
Ja, und damit komme ich zurück auf den für mich entscheidenden Punkt: Gerade weil ich davon überzeugt bin, daß mit dem Tod nicht alles aus ist , ist mir nicht so sehr an einer endlosen Verlängerung meines Lebens gelegen – schon gar nicht unter nicht mehr menschenwürdigen Bedingungen. Gerade weil ich davon überzeugt bin, daß mir ein anderes, neues Leben bestimmt ist, sehe ich mich als Christ von Gott selber in die Freiheit versetzt, über mein Sterben, über Art und Zeitpunkt meines Todes – soweit mir dies geschenkt wird – mitzubestimmen. Gewiß: Die Frage nach dem menschenwürdigen Sterben darf auf keinen Fall auf die Frage der aktiven Sterbehilfe reduziert werden; aber sie darf auch nicht davon losgekoppelt bleiben. Zum menschenwürdigen Sterben gehört auch eine menschenwürdige Verantwortung für das Sterben – nicht aus Mißtrauen und Überheblichkeit gegenüber Gott, sondern aus unerschütterlichem Vertrauen in Gott, der keinSadist ist, sondern der Barmherzige, dessen Gnade ewig währt.
Wer nämlich auf Gott vertraut, vertraut zugleich darauf, daß mit dem Tod nicht alles aus ist. Im Licht des einen Ewigen, der allein »tiefe, tiefe Ewigkeit« zu gewähren vermag, wird der Tod des sterblichen Lebens zur Transzendenz in Gottes ewiges Leben. »Vita mutatur, non tollitur«, heißt es im alten Totengebet der Eucharistiefeier: Das Leben wird verwandelt, nicht genommen. Soll ich mich also gar sehr besorgt darum kümmern, wie kurz oder lang dieses sterbliche Leben schließlich und endlich andauern soll?
Dabei bin ich mir aufgrund meines Glaubens meines Sterbens um keinen Deut »sicherer« als andere Menschen; Selbstsicherheit ist angesichts der Majestät des Todes am
Weitere Kostenlose Bücher