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Was danach geschah

Was danach geschah

Titel: Was danach geschah Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: James Kimmel
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in einem der Büros verschwunden war.
    »Wie lange bist du schon hier?«, fragte ich, erpicht darauf, dass Tim mir von seinen Erfahrungen und allem erzählte, was er über Schemaja wusste.
    »Hm, das weiß ich gar nicht so genau«, antwortete er.
    »Geht mir nicht anders«, erwiderte ich. »Es gibt keine Uhren und Kalender. Das war für mich der schwierigste Teil beim Übergang.«
    Wir machten uns auf den Weg Richtung Bahnhofshalle.
    »Hast du bereits eine Präsentation durchgeführt?«, wollte ich wissen.
    »Nein, nur zugesehen«, antwortete Tim. »Luas hat gesagt, die nächste würde ich alleine durchführen.«
    »Hat er zu mir auch gesagt … nach Amina Rabun. Sind das alles Büros von Präsentatoren? Es scheint Tausende zu geben.«
    »Ja, meins wurde mir eben erst zugewiesen. Weiter hinten gibt es noch viele leere Büros. Wo wohnst du?«
    »Im Haus meiner Urgroßmutter – oder in dem, an das ich mich als ihr Haus erinnere.«
    »Nett. Gleich nach meiner Ankunft wohnte ich mit meinem Vater zusammen in einem Zelt. Wir sind immer zusammen in Kanada zur Jagd gegangen. Er starb ein paar Monate vor meiner Ankunft hier.«
    »Das tut mir leid«, sagte ich. »Oder vielleicht doch nicht … du hast ihn ja jetzt schließlich zurück.«
    Tim zögerte. »Ja. Es war toll, ihn gleich am Anfang hier zu sehen, und er hat mir wirklich dabei geholfen, mich einzugewöhnen, aber jetzt ist er wieder weg.«
    »Weg? Wohin?«
    »Ich weiß nicht. Eines Tages sagte er nur, ich sei bereit, selbständig hier zu leben, aber wir würden uns wiedersehen. In dem Moment wurde mir klar, dass wir hier überall wohnen können, wo wir wollen. Du brauchst nicht bei deiner Urgroßmutter zu bleiben.«
    »Was heißt das, überall?«
    »Na, überall, wo du es dir vorstellen kannst … also, ich habe bisher im Kehlsteinhaus in Berchtesgaden und in Hitlers Bunker in Berlin gewohnt – ich interessiere mich sehr für Nazi-Geschichte.« Die Wahl seiner Wohnorte kam mir seltsam vor, und mir fielen Harlan Hurley, Die Elf und ihre endlose Begeisterung für alles ein, was Hitler betraf. Doch vielleicht war er damit auch nicht seltsamer als diejenigen, die am Wochenende in Leinenzelten wohnten und den Bürgerkrieg nachspielten. »Eine Zeitlang habe ich auch im Weißen Haus, in Graceland und West Point gewohnt«, fuhr Tim fort. »Ich bin Bomber und Kampfjets geflogen und mit Panzern gefahren. Und ich bin mit dem Spaceshuttle gereist. Du brauchst dir nur irgendwas vorzustellen, dann kannst du es auch tun.«
    »Wow, das ist toll. Ich dachte, man kann nur an die Orte gehen, an denen man in seinem Leben war. Was anderes habe ich bisher nicht probiert.«
    »Nein, überall, egal, wohin. Ich zeige es dir, wenn wir draußen sind. Hier drin funktioniert es nicht.«
    Als wir wieder die Tür zur Bahnhofshalle erreichten, öffnete Tim einen Behälter neben der Tür und nahm eine Augenbinde heraus, die er mir um den Kopf legte. Wieder spähte ich heimlich darüber hinweg auf die Seelen, als wir die Halle durchquerten. Ich hatte das Gefühl, als gingen wir durch eine Bibliothek, auf deren Regalen eine zufällige Auswahl von Fotos aus Tausenden von Autobiographien standen, die zwar von jeweils einer anderen Hand geschrieben waren, aber immer dieselben Wahrheiten, Leiden und Freuden widerspiegelten. In der Vorhalle auf der anderen Seite rückte ich, nicht mehr so verwirrt und geschwächt wie zuvor, die Augenbinde wieder zurecht.
    Obwohl ich mich wegen Tim etwas unsicher fühlte, spürte ich zum ersten Mal seit meiner Ankunft in Schemaja einen Funken Hoffnung hinter meiner Angst, als würde mich, während ich krank im Bett lag, ein Freund mit seinem Besuch erfreuen. Als ich die Augenbinde vom Kopf riss, rannten Tim und ich förmlich los wie zwei Schulkinder.
    Durch die Bäume hindurch sah ich das Dach von Nanas Haus. Der Bahnhof grenzte im Westen irgendwie an Nanas Grundstück. Der Zugang dazu war kaum mehr als ein zarter Lufthauch zwischen zwei Ahornbäumen, die schon während meiner Kindheit dort gestanden hatten.
    War das Tor zum Himmel vielleicht schon immer so nah gewesen? , fragte ich mich.
    Doch natürlich waren wir weiß Gott nicht in Delaware oder im Haus meiner Nana. All das entstand ganz spontan in meinem Kopf. Ich hörte sogar ein paar Autos auf der Straße vorbeifahren.
    Tim blickte sich um. »Hübsches Plätzchen. Also, wohin willst du gehen?«
    »Äh …«
    »Nimm einfach irgendeinen Ort, du kannst sie alle sehen.«
    »Also, gut …« Auf Kommando fiel mir

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